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Die Weltgeschichte der Pflanzen

Die Weltgeschichte der Pflanzen

Titel: Die Weltgeschichte der Pflanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Seidel
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lebenslang durch einen öden Alltag dämmerten. Künstler, die zunächst weder körperliche noch seelische Schmerzen lindern mussten, probierten den Gebrauch des Laudanums, fanden es, wie Goethe andeutet, inspirierend: »Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag / ein Feuerwagen schwebt auf leichten Schwingen / an mich heran! Ich fühle mich bereit / auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen / zu neuen Sphären reiner Tätigkeit.«
    So erging es vielen Romantikern, namentlich den englischen Schriftstellern Coleridge und De Qunicey. Thomas de Quincey (1785-1859) hat ein schonungslos offenes Buch über seine von Laudanum ausgelöste, lebenslange Opiumabhängigkeit und ihre Schrecken verfasst, samt versuchtem Entzug und Rückfall. Auch der französische Dichter Charles Baudelaire (1821-1867), der Verfasser des Gedichtbandes Les Fleurs du Mal ( Die Blumen des Bösen ) war opium-(haschisch- und alkohol-)abhängig: »Berauschen will ich mich an Weihrauch und Essenzen …« Ähnlich wie Goethe formuliert er: »Beglückt, wer sich erhebt auf leichten Schwingen / zu leuchtender Gefilde Heiterkeit.«
    Inzwischen hatte sich, noch mitten in der Goethe-Zeit, die junge Naturwissenschaft des Opiums angenommen. Im Jahr 1804 gelang es dem westfälischen Apothekergehilfen Friedrich Sertürner in Paderborn in einer Serie von Versuchen zum ersten Mal überhauptein Alkaloid aus einer Pflanzensubstanz zu isolieren. Er gewann reines Morphium aus dem Opium. (Er benannte es nach Morpheus, dem griechischen Gott des Traumes und des Schlafes. Auch Sertürner wurde abhängig.)
    Bis dahin hatte das oft von »Scheidekünstlern« (Chemikern) in vielen Experimenten angereicherte Wissen über chemisch-pharmazeutische Zusammenhänge und Verfahren dazu geführt, dass etliche pflanzliche Wirkstoffe in ihrer chemischen Natur erkannt worden waren, wie die Zitronensäure und die Weinsteinsäure. Frankreich, das Land der Aufklärung, war auf diesem Gebiet in den Jahren und Jahrzehnten vor der Französischen Revolution führend. Man war durch die Entdeckungen zu der allgemeinen Überzeugung gelangt, diese Wirkstoffe lägen in der Natur nur in der Form von Säuren vor. Doch von dieser Fixierung französischer Experimentalforscher auf chemisch saure Stoffe wusste Sertürner in der westfälischen Provinz nichts. Vorurteilsfrei zog er die richtigen Schlüsse aus seinen Versuchsreihen und erkannte den alkalischen (basischen) Charakter des »grauen Rückstands«, den er nach wässrigem Auszug, Auskochen und Filtrieren gewonnen hatte und der »zwischen den Zähnen knirschte«.
    Sertürners Entdeckung fand in Deutschland zunächst wenig Beachtung. Erst gut zehn Jahre später wurde der bedeutende französische Chemiker Joseph Louis Gay-Lussac auf eine zweite Morphin-Publikation Sertürners aufmerksam, erkannte die bahnbrechende Entdeckung, worauf der Apotheker auch in Deutschland Anerkennung erhielt, beginnend mit der Aufnahme in die »Societät für die gesammte Mineralogie zu Jena«. Deren Präsident war damals niemand anderer als Goethe. Für seine pharmazeutische Pioniertat wurde Sertürner 1831, als es noch keine Nobelpreise gab, von der Französischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet. Im Übrigen vermutete der junge Sertürner sogleich nach seiner Entdeckung, dass in anderen Pflanzen sicherlich auch Alkaloide als Wirkstoffe zu finden sein müssten – was sich natürlichals vollkommen richtig erwies – auch wenn es damals noch nicht der herrschenden Gelehrtenmeinung entsprach.
    Sertürners Entdeckung des Morphiums gilt im Nachhinein als Beginn der Experimentellen Pharmakologie, ja als Beginn der industriellen Arzneimittelherstellung überhaupt, also außerhalb der Apotheken. Für die sich allmählich herausbildende Pharmakologie war wichtig, dass hier erstmals eine hochwirksame Substanz sozusagen in Reinkultur vorlag, die man dementsprechend exakt dosieren konnte. Und die Nachfrage wurde rasch so groß, dass die Herstellung die Kapazität von Apotheken bald überschritt. Aus einzelnen Apotheken sind in der Folge große pharmazeutische Unternehmen hervorgegangen wie Merck aus der Darmstädter Engel-Apotheke, Riedel AG aus der Berliner Apotheke »Zum Schwarzen Adler«, die vor allem Chinin produzierte. Auch der Beiersdorf-Gründer war Apotheker (Beiersdorf-Hauptprodukte sind Nivea und Hansaplast). Was den Opiumkonsum anbelangt, blieb es im 19. Jahrhundert nicht beim Laudanum.
    Nachdem in China der durch den portugiesischen und holländischen Kolonialhandel

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