Die Weltgeschichte der Pflanzen
sich dank einer hohen Gen-Variabilität und etwas menschlicher Züchtungsnachhilfe relativ schnell an das feucht-irische Klima mit seinen langen Sommertagen und an die tiefgründigen, lockeren Böden anpasste. Die große Gemeinsamkeit von Anden und Irland sind die kargen Böden. Gerade das macht der Kartoffel nichts aus. In Irland gedieh sie prächtig.
Die Engländer sahen derweil in der Kartoffel nicht mehr als »Viehfutter«.
Die Ernährung der Iren wurde sehr abhängig von der jeweiligen Kartoffelernte. Hungerjahre wegen Missernten hatte es immer wieder gegeben, daran waren die Menschen überall auf der Welt bis weit ins 19. Jahrhundert gewöhnt.
1815 brach vor Java der Vulkan Tambora aus. Das darauffolgende Jahr 1816 galt auch auf der Nordhalbkugel als das Jahr ohne Sommer, so viel Vulkanasche hatte sich nach dieser gewaltigen Explosion in der gesamten Atmosphäre verteilt. Auch die nachfolgenden Jahre brachten keine guten Ernten. Im überbevölkerten Irland häuften sich die Ernteausfälle ungefähr alle zwei Jahre. Angesichts ihrer begrenzten agrarischen Möglichkeiten hätte die Insel mit Getreide allenfalls fünf bis sechs Millionen Menschen ernähren können. Dank der Kartoffel waren es neun Millionen geworden. (Dieser Höchststand ist bis heute nicht wieder erreicht.)
Dann kam die Kartoffelfäule. Sie war nicht die erste Kartoffelkrankheit, aber die schlimmste. Es handelt sich um einen Pilz, der 1845 aus Amerika eingeschleppt wurde. Er durchquerte die Insel mit der Geschwindigkeit eines Buschfeuers. Heute noch gesunde Knollen trocknen zunächst ein und verwandeln sich binnen einer Woche in stinkenden Matsch. Dagegen war man machtlos. Der Pilz wirkte so, wie man sich heute die Verseuchung mit Atomstrahlung vorstellt.
1845/1846 schlug die Kartoffelfäule erstmals und besonders flächendeckend zu. Es gab keine Kartoffeln mehr, es gab deswegen in Irland nichts mehr zu essen, und die Iren, seit Jahrhunderten gründlich ausgebeutet, hatten auch kein Geld, sich woanders Nahrungsmittel zu beschaffen. Die Engländer hatten ihr Regiment gegenüber den Iren derart schikanös perfektioniert, dass es auf der Insel seit Langem praktisch keine anderen Erwerbsmöglichkeiten mehr gab.
Etwa eine Million Iren verhungerten, anderthalb Millionen wanderten aus, drei Viertel davon nach Nordamerika.
Dieser massive demografische Schub hatte spürbare Folgen in den USA . Die katholischen Iren waren dank ihres Zusammenhalts »in der Not« der erste ethnische Block, der dort zu einer machtvollen Minderheit wurde, die sich den Interessen des englisch-protestantisch geprägten Mehrheitsmilieus entgegenstemmte. In Amerika konnten sich die gut untereinander vernetzten Iren zuWohlstand und politischem Einfluss hocharbeiten. Einig waren sie sich in ihrem Hass auf die Engländer, weshalb sie für eine Lockerung des nach der amerikanischen Unabhängigkeit sehr engen britisch-amerikanischen Verhältnisses sorgten. Die späten Eintritte der USA in die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts auf Seiten der Briten sind auch auf diesen politischen Einfluss zurückzuführen.
Die irisch-stämmigen Amerikaner mit ihrem typischen »Nationalcharakter« und strengen Katholizismus sind nach wie vor ein signifikantes Element der amerikanischen Bevölkerung. Die Kennedys sind die international bekannteste irischstämmige Familie der USA .
Die Iren »halten zusammen«, bekommen viele Kinder, fühlen sich auch noch nach Generationen heimatverbunden und wählen geschlossen demokratisch. 15 Prozent der amerikanischen Bevölkerung sind zumindest gefühlt irischstämmig. In den USA gelten die Iren als mutig und zupackend; traditionell arbeiten viele von ihnen bei der Polizei und der Feuerwehr. Beim Terroranschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center waren fast alle Feuerwehrleute, die bei den Rettungseinsätzen ums Leben kamen, irischstämmig.
Botanisch verwandt ist die Kartoffel mit den Nachtschattengewächsen Tomate, Paprika, Aubergine, Alraune und Tabak. Was wir als Kartoffel essen, ist – streng wissenschaftlich gesprochen – eine Sprossknolle. Keine Wurzel. Keine Rübe. Keine Zwiebel. Und erst recht keine Frucht. Bei der Kartoffel ist diese Knolle Teil der Sprossachse, und zwar die Verdickung eines unterirdisch wachsenden Stängels. Das Wachstum der Knolle geht vom oberirdischen Stängel aus, nicht von der Wurzel. Jede Pflanze bildet zehn bis zwanzig solcher Sprossknollen aus. Wir essen also die Sprossknolle der Kartoffelpflanze,
Weitere Kostenlose Bücher