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Die Weltgeschichte der Pflanzen

Die Weltgeschichte der Pflanzen

Titel: Die Weltgeschichte der Pflanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Seidel
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natürlich aus Frankreich. Die Prestigeobjekte verschafften Gold- und Silberschmieden willkommene Aufträge, Juwelenbesatz und sonstige Verzierungen waren gern gesehen. Schnupftabaksdosen waren fürstliche Geschenke im diplomatischen Verkehr, und die Sammlung Friedrichs des Großen ist legendär. Die Tatsache, dass noch um 1800 90 Prozent des Tabaks in Frankreich und Deutschland geschnupft wurden, zeigt, wie wenig die Pfeife damals in diesen Ländern verbreitet war. Vereinzelte »Tabakskollegien« zum Pfeiferauchen waren hochexklusive Hofzirkel. Das änderte sich im bürgerlichen 19. Jahrhundert.
    Das Bürgertum griff dann auch gern zur Zigarre, die sich von Südspanien aus durchsetzte. Die berühmteste Zigarrendreherin ist die Opernfigur Carmen aus Sevilla. Dort gab es schon seit Beginn des 18. Jahrhunderts eine Zigarrenindustrie. Doch erst das19. Jahrhundert wurde das Jahrhundert der Zigarre und die Zigarrenindustrie ein typisch mittelständischer Wirtschaftszweig. Zigarren wurden mit importiertem Tabak in den Verbraucherländern hergestellt. Es gab Tausende von kleinen Fabriken mit lokalen Absatzmärkten.
    Heute ist das Zigarrerauchen kein Massenvergnügen mehr, sondern ein Luxusmarkt, der mit importierten Marken aus der Karibik, Brasilien (»Brasil«) und Indonesien (»Sumatra«) für Genuss- und Prestigeraucher bedient wird. Frauen, die Zigarre rauchen, machten immer schon Furore: von Katharina der Großen über George Sand bis zu Marlene Dietrich und – gerüchteweise – Madonna.
    Das Zigarettenrauchen entwickelte sich als Weiterverwertung von Tabakkrümeln, die in den Tabak- und Zigarrenfabriken anfielen und in Papier gewickelt wurden. Diese neue Sitte kam aus Mexiko ebenfalls über Spanien nach Europa, verbreitete sich im 19. Jahrhundert und fand auch im Orient viel Anklang.
    Auf dem europäischen Kontinent wurden bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges fast ausschließlich Orienttabake geraucht. Tabakimporte für die Zigarettenhersteller kamen aus der Türkei, Ägypten und Russland, aber nicht aus Amerika. Auch die blühende deutsche und österreichische Produktion (11,5 Milliarden Zigaretten im Jahr 1912 allein in Deutschland) bezog die Tabakblätter nur aus dem »Orient«. Damit waren in erster Linie die Hauptanbauländer Bulgarien, Rumänien und Griechenland gemeint, ferner Regionen im Osmanischen Reich, das damals neben der »Türkei« noch fast den gesamten Nahen Osten umfasste.
    Nur in den angelsächsischen Ländern bevorzugte man stets Virginiatabake. Die Kontinentaleuropäer kamen erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf diesen Geschmack. Dann aber verdrängte der Virginiatabak die Orienttabake fast völlig.
    Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wurden Zigaretten hauptsächlich in Gaststätten und nur lose verkauft. Dafür hatte der Raucher sein persönliches Zigarettenetui. Und wieder wurden darausfür gehobene Ansprüche Schmuckstücke in edlem Design. Durch die Entwicklung der fertig verpackten Markenzigaretten zwischen den beiden Weltkriegen, vor allem in Deutschland, ist diese schöne Kunstform wie die Schnupftabaksdose obsolet geworden.
    Bis in die Zwanzigerjahre waren Zigarettenherstellung und -vertrieb wie bei den Zigarren ein ausgesprochen mittelständisch und regional betriebenes Gewerbe; es gab praktisch keine nationalen Marken. Das änderte sich in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen. Insbesondere die Brüder Reemtsma stiegen zu den führenden Zigarettenanbietern in Deutschland auf, indem sie reihenweise mittelständische Zigarettenhersteller aufkauften und fertig verpackte Produkte als nationale Marken entwickelten. Dadurch wurden sie so gut wie Monopolisten und auf jeden Fall sehr reich. Ernte 23, hervorgegangen aus der Orienttabakernte des Jahres 1923, ist bis heute das bekannteste Reemtsma-Produkt. Zigarettenmarken zählen zu den ersten Markenprodukten überhaupt, die bewusst kreiert und mit viel Werbeaufwand in den Markt eingeführt wurden. Auch in dieser Hinsicht waren die Reemtsmas bahnbrechend. Zeitungs- und Zeitschriftenverlage gerieten in regelrechte Abhängigkeit von den Zigarettenfirmen als Anzeigenkunden. Die Zigarette passte im Übrigen nun auch besser zur Frau. Im 18. Jahrhundert hatten die Rokokodamen geschnupft, aber im 19. Jahrhundert war Rauchen für Frauen verpönt. Im 20. Jahrhundert wurde das Zigaretterauchen für Frauen ein Symbol der Emanzipation, für das die Wirtschaft eigens Zigarettenmarken kreierte. Marlboro war vor dem Zweiten Weltkrieg eine milde

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