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Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnulf: Zitelmann
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gleich durchkreuzt sein Leben Herodes,
     König von Roms Gnaden, der des Kindes habhaft werden will. Und weil er keinen anderen Anhaltspunkt als das Alter des Kindes
     hat, lässt der grausame Mann alle Neugeborenen der Davidsstadt umbringen. Das Kind entgeht dem Mörder, weil seinem Vater Josef
     ein warnender Engel erscheint. Drei Jahrzehnte später wird ein Nachfolger des Herodes den Messias kreuzigen.
    Im Lauf der Zeit wird die Erzählung immer bunter. Aus den Weisen werden Könige, man kennt sogar ihre Namen: Caspar, Balthasar
     und Melchior. Ihre verschiedenen Hautfarben versinnbildlichen seit dem 15. Jahrhundert den globalen Herrschaftsanspruch der
     römischen Kirche.
    Wieder andere Wege geht Lukas. Auch er lässt in seinem Evangelium das messianische Kind in Bethlehem zur Welt kommen, mit
     deutlicher sozialer Tendenz nach unten. Keiner der Paläste des benachbarten Jerusalem ist seine |139| Geburtsstätte, sondern der Viehstall einer Karawanserei. Dort, im Fresstrog von Ochs und Esel findet das Kind sein erstes
     Bett. Keine Könige huldigen ihm, sondern die Hirten des Feldes. Das aber sind verrufene Leute. Ein Frommer, ein Pharisäer,
     wird sich hüten, mit ihnen in Berührung zu kommen. Schaftreiber sind unreine Leute, sogar der Normalbürger hält sie allesamt
     für Schurken und Gauner, die nur darauf aus sind, zu lügen und zu betrügen. Bei den kleinen Leuten, so Lukas, lädt Gott sich
     ein. Und die werden es nie vergessen, dass gerade unter ihnen der Heiland der Welt geboren wurde.
    Wie unterschiedlich diese drei Texte sind, und wie viel Johannes, Matthäus und Lukas dabei doch gemeinsam ist. Samt und sonders
     Fantasie- und Seelenreisen – historisch gesehen. Aber sie gehören unlösbar zur Psychohistorie des Christentums. Sie prägen
     unsere Vorstellung vom Leben Jesu und damit den christlichen Glauben. Wir werden in die Geschichte einbezogen und nehmen Teil
     an seinem Schicksal.
    Die leiblichen Geschwister von Jesus
    Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt ist Jesus etwa 30 Jahre alt. Es ist das gleiche Alter, in dem sich auch Siddharta
     aufmachte, in die Hauslosigkeit zu ziehen. Wie verbrachte der Sohn des Zimmermanns sein Leben? Als Ältestem oblagen ihm natürlich
     besondere Pflichten gegenüber den Eltern und Geschwistern, und mit dem vollendeten 13. Lebensjahr galt er als erwachsen. Geben
     wir der Mutter sieben Kinder, es können auch mehr gewesen sein, und rechnen wir mit dem Talmud je zwei Jahre mindestens als
     Stillzeit, dann kommt mit 14 sein jüngstes Geschwisterchen zur Welt. Es versteht sich, dass der Große in der Werkstatt mit
     anfassen muss. Jesus wird jahrelang unten in der Sägegrube verbracht haben, über sich den Baumstamm mit Josef oder einem der
     Brüder darauf, in beiden Händen den Sägegriff. Bohlen und Bretter wurden so geschnitten. Eine harte Arbeit! Und was für schwere,
     schwielige Hände das waren, die das Sägeblatt durch den Stamm zogen, Stunde über Stunde. Ich stelle mir Jesus eher muskelbepackt
     vor, ähnlich wie der Christus in der Sixtinischen Kapelle in Rom, den der italienische Bildhauer und Maler Michelangelo im
     16. Jahrhundert schuf. Auf gar keinen Fall so ätherisch, zart und androgyn, wie frömmelnde Andachtsbilder ihn darstellen.
    Er blieb so lange in Nazareth, bis das jüngste Geschwisterchen herangewachsen war, und das ergibt nach meiner Rechnung rund
     30 Jahre. Von da an |140| war Jesus von seinen familiären Pflichten befreit und konnte sein Vaterhaus verlassen.
    Schalom ben Chorin, der Schriftsteller und Theologe, hat ein wichtiges Jesusbuch geschrieben, aus jüdischer Sicht. Darin wirft
     er die Frage auf: »War Jesus verheiratet?« Ihm ist bewusst, dass schon allein die Frage auf viele Leser schockierend wirkt.
     Ben Chorin stellt sie trotzdem. Und er kommt aufgrund vergleichender Talmud-Studien zu dem Ergebnis: »Ich bin also der Ansicht,
     dass Jesus von Nazareth, wie jeder Rabbi in Israel, verheiratet war. Seine Jünger und seine Gegner hätten ihn gefragt, wenn
     er von diesem allgemeinen Brauch abgewichen wäre.« In der Tat schreibt der Talmud den Rabbinern, aber eigentlich jedem Juden,
     Ehe- und Zeugungspflicht vor. Die Belege sind zahllos. Doch, und das übersieht Ben Chorin, diese Regeln stammen samt und sonders
     aus den Zeiten nach der Tempelzerstörung, wo das nackte Überleben Israels zu einem religiösen Muss wurde. Die Bevölkerung
     war dezimiert, und das Bevölkerungswachstum stand tief im Minus. Das sah zur Zeit

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