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Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnulf: Zitelmann
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überstehen, ohne Staat und ohne Heimatland.
    Die Christen schreiben ihre Bibel
    Auch für die Christen der ersten Generationen bedeutete die Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahr 70 einen tiefen
     Einschnitt. Augenzeugen des Lebens von Jesus gab es nicht mehr, seine erste Gemeinde hatte aufgehört zu existieren. Die Überlieferung
     der Daten und Taten drohte abzureißen.
    Paulus erlebte den jüdisch-römischen Krieg nicht mehr. Er starb vorher, wahrscheinlich in Rom, den Märtyrertod. Hätten wir
     allein seine Briefe, |135| wüssten wir von Jesus rein gar nichts außer jenen Heilsdaten, die Paulus theologisch wichtig waren: Geboren von einer Frau
     (Paulus kennt noch keine Jungfrauengeburt), gekreuzigt, gestorben und begraben, am dritten Tage auferstanden von den Toten,
     sitzt er zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, und von dort wird er kommen, Recht zu sprechen den Lebendigen und den
     Toten. Mehr erfahren wir von Paulus über Jesus nicht! Auf ein Jesuswort beruft er sich höchstens im Vorbeigehen, keine von
     seinen Wundergeschichten erzählt Paulus weiter. Keine Altersangaben, keine Zahlen über die Dauer von dessen öffentlichem Wirken
     finden sich bei ihm.
    Das ist befremdlich, erklärt sich zur Not aber daraus, dass Paulus bei seinen Lesern die Kenntnisse über Leben und Wandel
     von Jesus voraussetzen konnte. Auch den meisten der heutigen Christen ist dessen Leben nicht wichtig. Weihnachten findet statt,
     wenn der Weihnachtsmann kommt. Doch damals hatten wir eine andere Situation. Jeder, der sich in den ersten Jahrhunderten entschied,
     den christlichen Glauben anzunehmen, traf diese Entscheidung nach einer persönlichen Bekehrung. Bei den ersten Christen muss
     der Untergang Jerusalems darum einen Schock ausgelöst haben: Jerusalem war ihr »Vatikan« gewesen. Und plötzlich hatte die
     Apostelgemeinde aufgehört zu existieren, ein Endzeit-Szenarium!
    In dieser Situation unternahmen es einige christliche Gemeindevorsteher, Lebensbilder von Jesus aufzuzeichnen, um den verstörten
     Christen den Glauben zu erhalten und neu zu festigen. Markus war der erste, der sich um das Jahr 70 an einer Darstellung des
     Lebens von Jesus versuchte. Ihm folgten zwischen 80 und 100 Matthäus und Lukas. Dieser schreibt im Vorwort seines Evangeliums:
    »Inzwischen haben sich mehrere Leute daran versucht, schriftlich festzuhalten, was unter uns Christen geschehen ist. Sie taten
     das aufgrund von Augenzeugenberichten. Und zwar von denen, die zuerst dabei gewesen sind und Diener des Wortes waren. Und
     nachdem auch ich diese Dinge eingehend untersucht habe, möchte ich Ihnen, geehrter Theophilus, dieses alles der Reihe nach
     aufschreiben. Sie können sich dann selbst ein Bild von den Ereignissen machen, über die man Sie bisher nur mündlich unterrichtet
     hatte.«
    Aus der Widmung wird deutlich, wie die schriftliche Fixierung die mündliche Weitergabe ablöst. Im Verlauf der nächsten Jahrzehnte
     versuchten immer mehr Autoren ihr Glück in dieser Sache. Offenbar war das Bedürfnis nach authentischen Berichten einfach riesig,
     nachdem die Zeitzeugen weggestorben waren. Und, wie zu erwarten, wurden die Lebensbilder von Jesus im Lauf der |136| Jahrzehnte immer bunter. Sie gingen zurück bis in die Kindheitsgeschichte seiner Mutter, wurden durch ständig neue Wundertaten
     aufgefüllt. In einem langen Sichtungsprozess verwarfen die Gemeinden die meisten dieser Darstellungen, darum stehen sie auch
     nicht im Neuen Testament. Die Geltung von Matthäus, Markus und Lukas war nie bestritten. Zu ihren Lebensbildern gesellte sich
     um das Jahr 100 Johannes als letzter Autor hinzu. Er porträtierte Jesus gleichsam als Philosophen.
    Lukas bemüht sich, wie seine Widmung zeigt, um eine objektive Darstellung des Lebens von Jesus. Berücksichtigt man die wundersüchtige
     Zeit, ist ihm das, wie auch den anderen Evangelisten, weitgehend gelungen. Dennoch, aus rein wissenschaftlichem Interesse
     schrieb keiner von ihnen. Nicht als Historiker, die nämlich, wie der römische Geschichtsschreiber Tacitus anmerkt, »sine ira
     et studio«, ohne Vorurteile im Guten wie im Bösen, ans Werk gehen sollten. Die Schriften der Evangelisten sind nicht frei
     von Voreingenommenheit, es sind Missions- und Werbeschriften. Als solche haben sie ihr Recht, bleiben aber, historisch gesehen,
     mit Vorsicht zu genießen. Zu vieles wird schöngeredet, unkritisch weitergegeben oder gar tendenziös entstellt.
    Die Aufzeichnung der Lehre

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