Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnulf: Zitelmann
Vom Netzwerk:
Stimme nicht erheben. Was würde Allahs Gesandter sagen, wenn er dich auf deinem Kamel einher stürmen sähe? Denkst
     du etwa, das würde ihm gefallen?« Aisha beeindruckte das nicht. Sie glaubte an ihre Mission. Zehntausende von Toten und Verletzten
     soll die »Kamelschlacht« gekostet haben, und sie endete erst, als Aishas Kamel mit zerschnittenen Sehnen niedersank. Da ergriffen
     ihre Leute die Flucht.
    Ali versuchte, dem Treffen auszuweichen. Standen sich doch hüben wie drüben alte Kampfgefährten des Propheten plötzlich als
     Feinde gegenüber. Der Kalif ließ sogar im letzten Augenblick, ehe das Abschlachten begann, zwischen den Fronten aus dem Koran
     vortragen! Umsonst, Aisha war nicht aufzuhalten. Dieses Mal allerdings zog sie den Kürzeren. Ali schonte seine Feindin, schickte
     sie zurück nach Medina und kostete seinen Sieg nicht aus. Er verbot, den fliehenden Kämpfern nachzusetzen, ließ alle Gefangenen
     frei und befahl, die Leichen der Gegner würdig zu bestatten.
    Ahnte der zögerliche Ali, welche verhängnisvollen Folgen die blutige Entzweiung nach sich zog? Die Kamelschlacht stieß die
     Tür zu den Bruderkriegen auf. Hätte Aisha nicht Alis rechtmäßige Wahl sabotiert, wäre es vielleicht nie zu dem großen Schisma
     gekommen, das bis heute die muslimische Welt teilt. Ali ibn Abu Talib wurde drei Jahre nach der Kamelschlacht hinterrücks
     erdolcht, ermordet wie vor ihm schon zwei andere Kalifen. Sein Sohn Husain verlor zwei Jahrzehnte darauf sein Leben in dem
     Gemetzel von Kerbala im Irak. Der politische Gegenspieler Husains war Yazid, dessen Vater die Truppen schon zu Lebzeiten Alis
     als rechtmäßigen Kalifen ausgerufen hatten. Muhammads Tod lag inzwischen 50 Jahre zurück, man schrieb das 61. Jahr nach der
     Hidschra. »Ein Wildesel-Mensch wird er sein, und alle seine Brüder wird er provozieren«, hatte der Engel den Söhnen Ismaels
     mit auf den Weg gegeben. Genau so trat der Islam seinen Weg durch die Geschichte an.
    |193| Die Anhänger der Schia, der Partei Alis, betrauern bis heute Husains Tod. Ihre Überlieferung erzählt, dass zu seiner Geburt
     der Engel Gabriel dem Propheten Muhammad erschienen war und ihm sagte: »O Prophet Allahs, ich bin tief betrübt wegen dieses
     neugeborenen Sohnes [Husain] von Fatima, der unsägliche Schwierigkeiten, Nöte, Wunden und Schmerzen erleiden wird. Er wird
     schließlich mit all seinen treuen Anhängern den Märtyrertod erleiden in der Wüste Kerbala an den Ufern des Euphrats.« Seine
     Parteigänger hatten Husain, ihren geistlichen Führer, vor der Schlacht schnöde im Stich gelassen, alle bis auf 72 Getreue,
     darunter Nachkommen aus dem Hause Muhammads. Eine blutige Geschichte, die damit endete, dass die Sieger Husains Kopf sowie
     die Häupter seiner Mitstreiter auf ihre Lanzenspitzen steckten und als Trophäen vor sich hertrugen. Den Verrat an Husain,
     dem Prophetenenkel, dem seine Truppen davongelaufen waren, empfinden die Schiiten als Schuld und Schande, die noch heute auf
     ihnen lastet. Am Aschuratag begehen sie alljährlich das Gedenken an die »Märtyrer-Schlacht« unter Tränen und Schluchzen mit
     Trauerprozessionen und blutigen Selbstgeißelungen der jungen Männer.
    Seit dem Ende Husains zerfiel der Islam endgültig in die beiden Lager der Schiiten und Sunniten. »Anhänger der Sunna« ist
     eine irreführende, unscharfe Bezeichnung für den traditionellen Islam. Denn die »Sunna« des Propheten achten die Schiiten
     genauso. Diese ist nichts anderes als die Gesamtheit aller Aussprüche, Taten und Entscheidungen Muhammads und seiner Familie,
     die in den Hadithen gesammelt sind, und das ist seit dem 9. Jahrhundert neben dem Koran die wichtigste Quelle religiöser Vorschriften.
     Sunniten und Schiiten betrachten gleichermaßen auch den Koran als ultimative Offenbarung Allahs. Allerdings wirft man den
     sunnitischen Glaubensgeschwistern vor, das Heilige Buch und die Tradition verfälscht zu haben – eine Verdächtigung, die schon
     Muhammad gegenüber der jüdischen Tora-Überlieferung ins Feld führte. Deshalb halten sich die Schiiten zusätzlich an die Traditionslinie
     ihrer Imame, ihrer geistlichen Führer. Diese allein kennen die verborgene Auslegung des Koran, besitzen übernatürliches Wissen,
     sehen in die Zukunft und sind frei von Sünden. Weil Allah sich Muhammad auf ewig verbürgte, stammen alle Imame aus seiner
     Nachkommenschaft. Die schiitische Imam-Tradition ist dem sunnitischen Islam fremd. Die Nachfolger

Weitere Kostenlose Bücher