Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
Beispiel von Papst Johannes
Paul II. Der bat im Jahr 2001 die Christen des Ostens um Vergebung für den letzten Kreuzzug, bei dem die christlichen Krieger
Byzanz, das damalige Konstantinopel und heutige Istanbul, brandschatzten – zu jener Zeit noch eine christliche Stadt! Wieder
hieß es: »Gott will es!« Und das Schwert fraß unterschiedslos Christen, Juden, Muslime, Gläubige wie Ungläubige. Die geschwächte
Stadt fiel kurz darauf den Armeen des Islam in die Hände. Tausend Jahre hatte der Sperrgürtel im Süden standgehalten, unter
dem Schutz von Byzanz konnte Europa seinen Bestand festigen. Seit dem Jahr 1453 wurde die Metropole am Bosporus zum Aufmarschgebiet
der muslimischen Türken. Sie eroberten Griechenland, das heutige Rumänien, Bulgarien, Albanien, das ehemalige Jugoslawien.
Dort lösten sie jene Zerwürfnisse aus, die bis in unsere Gegenwart den Südosten Europas heimsuchen. Wie grausam kann die Geschichte
sein, und wie schwer können ihre Erblasten wiegen.
|191| Sunniten und Schiiten, der Riss im Islam
Achthundert Jahre hielt die Stadt am Bosporus den Armeen des Islam stand. Ihr Schicksal wäre längst besiegelt gewesen, hätten
sich die Muslime nicht ständig selbst in den Haaren gelegen. »Die Juden gingen in 71 Richtungen, die Christen in 72, ihr werdet
in 73 gehen«, hatte Muhammad den Seinen prophezeit. Er behielt Recht.
Alsbald nach dem Tod des Propheten ging der Streit um sein Erbe los, denn Muhammad hatte keine Nachfolgeregelung getroffen
und auch keinen direkten männlichen Nachkommen hinterlassen.
Zwei Parteien standen sich bei den Erbstreitigkeiten gegenüber. Die Anhänger der einen pochten auf die Blutsverwandtschaft
mit dem Gesandten, die der anderen wandten ein, nur der Würdigste und Frömmste unter den Gläubigen dürfe in die Fußstapfen
Muhammads treten. Aisha, die Witwe des Propheten, war beim Ableben ihres Mannes 24 Jahre alt und spielte in dem Nachfolgestreit
eine entscheidende Rolle. Sie favorisierte Abu Bakr, ihren Vater, der von der ersten Stunde an Muhammads Gefolgsmann gewesen
war. Die Gegenseite hatte sich auf Ali ibn Abu Talib, Muhammads Vetter, eingeschworen, der überdies mit Fatima, einer Prophetentochter
verheiratet war. Ali versuchte vergeblich, Aisha für sich einzunehmen. Als er aber ihr Haus betreten wollte, drohte sie ihm:
»Einen Schritt weiter, und ich entblöße mein Haupthaar!« Ali ließ sich einschüchtern und verlor das Spiel. Abu Bakr wurde
zum ersten Kalifen, zum Stellvertreter Allahs und seines Gesandten, gewählt. Zwei weitere Kalifen folgten, Umar und Uthman,
bis endlich Ali an die Reihe kam. Inzwischen waren fast 25 Jahre nach dem Tod Muhammads verstrichen. So lange hatte der Schwiegersohn
des Propheten auf seine Kalifenwürde warten müssen.
Dabei hatte Ali ibn Abu Talib gute Karten gehabt: Vetter des Propheten, mit dessen Lieblingstochter verheiratet, einer seiner
ersten Anhänger, das waren hohe Trümpfe. Als ständiger Kampfgefährte Muhammads trug er die Fahne, wurde von ihm gewürdigt,
neue Suren vorzutragen, und leitete das Freitagsgebet. Ali gehörte zu den zehn Gläubigen, denen der Prophet ausdrücklich das
Paradies verheißen hatte. Doch Ali hatte Aisha gegen sich, und das wog schwer.
Der Islam war auf Eroberungskurs, Ali kämpfte sich mit seinen Getreuen immer weiter nach Osten vor und gewann dabei im Iran
eine beträchtliche Hausmacht. Kaum war er im 35. Jahr nach der Hidschra, der Flucht nach Medina, zum Kalifen gekürt, sammelte
Aisha, »die Mutter der Gläubigen«, ein Heer gegen ihn. An Alis Stelle wollte die »Rote« ihren Neffen Abdullah bin |192| Zubayr als Kalifen sehen. Vor Jahren war Aisha schon einmal als Königsmacherin erfolgreich gewesen, als sie ihren Vater Abu
Bakr ins Amt hob. Bei Alis Ernennung hatte man sie gar nicht erst gefragt. Das kränkte Aisha, an deren Brust der Prophet verschieden
war. Fühlte sie sich doch als Muhammads Sachwalterin.
Bei Basra im heutigen Irak kam es zur Schlacht zwischen den Muslimen. Von einer Kamelsänfte aus feuerte Aisha ihre Generäle
und Heerscharen an, eine echte Beduinenkämpferin. Sie hatte sogar die anderen Prophetenwitwen aufgefordert, mit ihr gegen
Ali Stellung zu beziehen. Keine jedoch folgte ihrem Appell. Eine hielt der Streitlustigen vor: »O Aisha! Der Gesandte Allahs
hat uns doch geboten, das Haus zu hüten. Züchtiges Leben ist unser Dienst am Höchsten. Wir sollen die Augen niederschlagen
und unsere
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