Die Weltverbesserer
gesehen. Den Herrscher oder Kru und die kleine Gruppe von Aristokraten, die sich um ihn scharten. Er hatte sie in einer Skulptur von erstaunlicher Ausdruckskraft dargestellt gesehen.
Aber wo war das Volk?
Er kannte jeden Winkel der Paläste und Tempel, er kannte Waffen, Keramiken, Juwelen, Geschmeide, handbemalte Stoffe, sogar eine jener Roben, die zeremoniell verbrannt wurden, nachdem der Kru sie einmal getragen hatte. Seit Monaten hatte er Filmaufnahmen dieser Gegenstände studiert, und es war ihm nicht in den Sinn gekommen, daß es noch ein Volk geben mußte, eine Masse intelligenter Wesen, auf die die tausend Augen aus dem Turm des Kru herabstarrten. Gingen sie mit gesenkten Augen am Turm vorbei? Oder blieben sie stehen und starrten unerschrocken zurück?
Plötzlich wollte er es wissen. Er sprang auf und rannte ins Informationszentrum.
»Ich brauche ein paar Filme.«
Ganoff Strunk erhob sich hinter seinem Schreibtisch. Auf seinem Gesicht stand der Ausdruck gekränkter Würde.
»Vermissen Sie etwas? Ich dachte, wir hätten Ihnen alles gegeben.«
»Sicher. Aber ich brauche noch ein paar Filme über die Sklaven.«
»Über die Ols? Sie meinen, Sie brauchen Filme über sie?«
»Nun, ich …«
Strunk brach in lautes Gelächter aus.
»Glauben Sie, man muß nur ganz einfach zu einem Ol gehen, die Kamera heben und sagen: ›Bitte, lächeln Sie?‹ Lassen Sie sich eines sagen, mein Junge. Bevor Sie an einen Einheimischen herankommen, müssen Sie einer von ihnen sein – in Kleidung, Benehmen, Sprache und Charakter. Welche Rolle möchten Sie übernehmen? Sklave, Aufseher, Soldat, Handwerker, Priester, Nobelmann? Sie können nicht über die Straße gehen, ohne als degeneriertes Wesen gesteinigt zu werden. Niemand kommt in die Nähe der Eingeborenen, ohne vorher genauestens trainiert und geprüft worden zu sein. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen verlieren wir Agenten. Das Leben wird hier so gering geschätzt, daß ein Soldat seinen Speer in das erste Ol stößt, dem er eines Morgens begegnet, nur zur Übung.«
»Wer trainierte die ersten IBB-Agenten?«
»Sie trainieren sich selbst. Es ist ein verdammt gefährlicher Job, zu photographieren, zu notieren, Kleider und Werkzeuge zu stehlen. Und sie betreiben Studien, von denen Sie sich in Ihrer behaglichen Akademie nichts haben träumen lassen. Gewöhnlich dauert es mindestens ein Jahr, bevor sich ein IBB-Agent vor die Augen eines Ol wagt. Und Sie wollen ein paar Filme haben! Wie viele tausend brauchen Sie denn?«
»Oh, so viele brauche ich nicht.«
»Hier haben Sie ein paar Duplikate, die wir für das Archiv des Büros hergestellt haben.«
»Vielen Dank.«
»Aber ich warne Sie. Es wird Ihnen nicht gefallen, was Sie da erfahren werden.«
Farrari eilte in sein Arbeitszimmer zurück, spannte den ersten Film in seinen Projektor – und erstarrte vor Schreck.
Die dreidimensionale Projektion erfüllte den Raum. Eine Sklavenfrau lag auf dem Rücken. Ihre Glieder zuckten vor Schmerz, während ein Durrl auf sie einschlug. Das Zischen der Peitsche, ihre Schläge, die Schreie der Frau, das Grunzen des Durrls mischten sich zu einer peinigenden Geräuschkulisse. Jeder Schlag riß neues Fleisch, neue Hautfetzen aus dem gequälten Körper, ließ neues Blut im Sonnenlicht aufschimmern.
Nach fünf Minuten zuckte der Körper der Frau konvulsivisch, sie bäumte sich auf und gebar. Der Projektor war auf Wiederholung geschaltet, und die grausame Szene rollte nochmals vor Farraris entsetzten Augen ab. Obwohl er den Impuls spürte, das Gerät abzuschalten, aus dem Zimmer zu rennen, zwang er sich, jedes Detail in sich aufzunehmen. Die Frau hatte auf einem Weizenfeld gearbeitet. Ein paar Garbenbündel lagen neben ihrem Kopf. Auf dem einen konnte Farrari Abdrücke von Zähnen erkennen. Die Frau verhungerte. Sie hatte Nahrung gestohlen.
Der Film lief zum viertenmal ab, als Farrari plötzlich merkte, daß seine Hauptakteure nicht allein waren. Zwei nackte Männer, eine Frau mit einem Lendenschurz und ein nacktes Kind beobachteten anscheinend völlig unbeteiligt die Szene, als ob sie dergleichen schon oft gesehen hätten. Ihre Gesichter waren leer. Lag in ihren Augen die tragische Häufung von generationenaltem Terror? Farrari wußte es nicht, aber er wußte, daß er diese toten Gesichter nie vergessen würde.
Die Stimme des Koordinators Paul klang durch die Schreie.
»Eine nette Nachmittagsbeschäftigung.« Er nahm einen Bücherstapel von einem Sessel und setzte sich. »Die Peitsche
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