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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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den Verdacht hat, dass das Spiel längstverloren ist, gibt sich damit zufrieden, auf den Stufen zu stehen und Parolen zu skandieren. Sie fühlt sich zurückversetzt in die alten Zeiten der Demos und Märsche, und sie ist froh, dass sie Marcus überredet hat mitzukommen – erst wollte er nicht, aber jetzt steht er auf der Stufe unter ihr, schwenkt heftig sein Plakat und ruft: »Gurken statt Gier!«
    Als die Mitglieder des Stadtrats auftauchen, einzeln oder zu zweit, schiebt sich die Menge vor und brüllt: »GAGA!«, »Legalisierung jetzt!«, »Raus! Raus! Raus!« Doro hält nach Malcolm Loxley Ausschau und versucht sich zu entscheiden, ob sie ihm tapfer ins Gesicht sehen soll oder wegschauen und so tun, als hätte sie ihn nicht gesehen.
    Plötzlich taucht eine kleine, aber sehr lautstarke Gruppe weiterer Demonstranten am Ende der High Street auf, die geballten Fäuste in die Luft gereckt, und brüllt: »Alle Macht den Kleingärten!«
    »Wer zum Teufel sind die?«, fragt Marcus.
    Sie kann nur die schwarzen Buchstaben PISSF auf dem roten Banner erkennen, aber als sie näher kommen, liest sie: »Posadistische Internationale Sozialistische Solidaritätsfront.« In einer Ecke sind Hammer und Sichel aufgemalt. In der anderen eine fliegende Untertasse.
    »Äh ... siehst du den Dicken mit dem Pferdeschwanz, der das Banner hochhält?«
    »Ist das nicht Chris ...?«
    »... Howe!«
    Er sieht gepflegter, sauberer aus, fast flott, trotz seines Bierbauchs.
    »Genossen!«
    Er hat sie im gleichen Moment erkannt wie sie ihn und lässt sein Ende des Banners fallen, um sich durch die Menge zu drängen.
    »Marcus! Doro! Toll, euch zu sehen. Ich wusste gar nicht, dass ihr noch in der Gegend seid!«
    Marcus umarmt ihn schulterklopfend. »Gut, dich zu sehen, Chris! Seid ihr hier, um uns zu unterstützen?«
    »Kleingärten sind die neue Speerspitze des Klassenkampfs im deindustrialisierten England, Genosse! Weißt du, was Posadas gesagt hat? Wenn uns die außerirdische Intelligenz den Sozialismus bringt, wird er zuerst von den Neo-Narodniki und den Delphinen angenommen. Hallo, Doro! Toll, dass du immer noch den Glauben hochhältst!« Er greift nach ihrer Hand.
    Doro reagiert kühl. Sie hat Chris immer noch nicht ganz seinen Anteil an dem verziehen, was 1994 passiert ist. Na gut, als er nur mit einem T-Shirt bekleidet an die Tür ging, konnte er nicht wissen, dass die Polizei draußen stand. Aber er hätte wirklich den Grips haben können, nicht über die Schulter zu schreien: »Die Bullenschweine sind da!«
    Und als die Polizei sich an ihm vorbei in den Flur drängte, hätte jeder vernünftige Mensch sich erst mal was angezogen, statt auch das T-Shirt auszuziehen und zu rufen: »Verhaftet mich doch und schleppt mich weg, ihr Faschisten!«
    Was sie natürlich taten.
    »Ja, ich habe eine Parzelle in der Kleingartensiedlung, Chris.« Sie lächelt dünnlippig.
    Im Rückblick ist es natürlich irgendwie komisch. Und vielleicht wäre es auch damals komisch gewesen, wenn Oolies damaliger Sozialarbeiter die Sache nicht so ernst genommen hätte, der plötzlich zu der Überzeugung kam, dass Solidarity Hall eine Höhle der Pädophilie und des rituellen satanischen Missbrauchs sei, und einen Tsunami von Untersuchungen anzettelte, der die Chrises schließlich vertrieben hatte.
    »Toussie, Kollie ... die kennst du doch noch, Doro?«
    Zwei schüchterne große junge Menschen mit strähnigem schwarz gefärbtem Haar, Gothic-Klamotten und gepiercten Augenbrauen drängen sich vor, und sie umarmt die beiden herzlich.
    »Wie seid ihr gewachsen! Und was ist mit Chris? Ist sie bei euch?«
    »Na ja, Chrissie und ich haben uns getrennt«, sagt Chris. »Das ist meine neue Partnerin Mara.«
    Ein schüchternes, dunkelhäutiges, umwerfend schönes Mädchen, etwa genauso alt wie Toussaint und Kollontai, sieht zu Doro hoch. »Hallo.«
    Dann richtet sie den Blick wieder auf Chris und himmelt ihn bewundernd an.
    Als Doro sich die Gruppe näher besieht, stellt sie fest, dass alle ähnlich jung sind, und die meisten sind Mädchen, und die meisten von ihnen sehen Chris Howe mit genau diesem anhimmelnden Blick an. Oh Gott! Er ist also am Ende ein Guru geworden.
    Der Guru holt ein Megafon aus der Schultertasche. »Genossen! Bürger von Doncaster! Kleingärtner der Welt!«
    Noch bevor er weitersprechen kann, fangen die verzückten Mädchen zu klatschen an, dann bricht der ganze jugendliche Haufen in Jubelrufe aus. Doro zuckt zusammen und tut einen Schritt zurück, wobei sie

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