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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Fehler finden.
    Er hat ihr gesagt, Chicken wolle, dass sie ihm alles zeigt, um zu sehen, ob Feinabstimmungen nötig sind. Er hat ihr nicht gesagt, dass Chicken will, dass er ... Was genau will Chicken eigentlich von ihm? Dass er ihren Algorithmus klaut und ihn für seinen eigenen ausgibt? Dass er ihr erklärt, ihr fehle es an Glaubwürdigkeit? Wenn er Verbesserungsvorschläge hätte, gäbe es zumindest einen Vorwand für eine Partnerschaft, aber sie braucht seine Hilfe nicht, höchstens vielleicht, um ihre Grammatik aufzupolieren.
    Es ist nach zehn, und es ist fast keiner mehr da. Bei den Commodities hängen noch ein paar Nachteulen rum. Irgendwo heult ein Staubsauger. Doch im Glaskasten ist es still. Beinahe kann er ihr Herz klopfen hören.
    »Er ist perfekt, Maroushka. Ein perfektes Beispiel für die Darstellung von Single-Tranche-CDOs beim Auftreten einer konvexen Volatilitäts-Kurve.«
    Was er meint, ist – du bist perfekt. Die Kurve deiner Wange.Die Strähne deines dunklen Haars auf deiner sahneweißen Stirn, die du so konzentriert in Falten legst. Er hält den Atem an und legt den Arm um sie, spürt die Wärme ihres Rückens, die schmalen Schultern unter dem roten Stoff.
    »Und wie ich sehe, hast du auch schon eine passende Preisbildungsmethodik für die verschiedenen Klassen von Multi-Name Products entwickelt – «
    »Auch exotische CDOs und CDO 2 s. Weiterentwickelter Algorithmus kann Preise bilden und kalibrieren Multi-Name-Faktoren-Modell zwischen maßgeschneiderte und Standard-Indices-Portfolios.« Sie sagt es mit einem leichten Kichern, als hätte sie Angst, ihn zu langweilen. »Ist gut. Oder, Sergej?«
    Er riecht ihr Parfum. Er berührt das Wunder ihrer Haut.
    »Ja. Ist gut.«
    Im nächsten Moment liegen sie einander in den Armen, Mund auf Mund gepresst, ihre Zungen sind wie hungrige Mollusken, die einander verschlingen ... Na gut, nicht wie Mollusken. Ihr Lippenstift ist verschmiert wie bei einem kleinen Mädchen, das zu viel Erdbeermarmelade gegessen hat.
    »Geh mit mir fort, Maroushka.«
    Sie lacht. »Warum du willst immer weglaufen, Sergej? Wir bleiben hier, machen gutes Geld.«
    »Weil du zu gut bist für diese Welt, Prinzessin. Weil hier alles zusammenbrechen wird.«
    »Wenn alles zusammenbricht, dann sind wir reich.«
    »Wir könnten so glücklich miteinander sein.« Er zieht sie an sich, hält sie fest in den Armen, küsst sie immer wieder. »Reichtum ist nicht alles.«
    Sie versucht sich aus seiner Umarmung zu befreien.
    »In mein Land, Sergej, Reichtum ist alles.« Ihre Augen funkeln. »In Sowjet-Zeit alle Leute waren mittelmäßig. Jetzt haben wir reiche Elite. Diese Personen sind mehr intelligent. Ich bin auch intelligent. Also warum nicht auch ich?«
    Sein Überschwang sinkt in sich zusammen, Melancholieumfängt ihn wie grauer Nebel und erstickt jede Chance, jede Hoffnung auf zukünftiges Glück; denn in diesem Moment der Wahrheit begreift er, dass er sie niemals – nicht in einer Million Jahren – mit nach Hause nehmen und sie Marcus und Doro vorstellen kann.

Doro
    Gurken statt Gier
    An einem Montag im November nehmen Marcus und Doro vor dem Rathaus von Doncaster an einer bunten Parade gelebter Demokratie teil. In dreißig Minuten soll die Stadtratssitzung beginnen, und der Zaun ist mit Bannern aus bemalten Bettlaken geschmückt – »Greenhills soll grün bleiben!«, »Veggiepower!«, »Donnygate ist nicht vergessen!« –, die feucht im böigen Wind flattern. Auf der obersten Stufe im Schutz des Eingangs steht Doro, betrachtet die Menge der Demonstranten – es sind fast hundert, schätzt sie – und schwenkt dabei ein Schild mit einem Kohlkopf, auf dem »GAGA!« steht. Unten auf der Straße, im Wald der selbstgemachten Plakate, spielt die Zechenkapelle von Rossington auf Einladung von Reggie Hicks ›The Red Flag‹, während die üblichen Verdächtigen umherwandern und versuchen, ihre Zeitungen zu verkaufen – die Britische Liga der Trotzkisten, die Allianz der Anarchisten von Barnsley, die Liga zur Legalisierung der Trepanation und die Vereinigte Befreiungspartei von Pontefract –, die die Zahl der Demonstranten anschwellen lassen, während sie ihre eigenen obskuren Ziele verfolgen. Es nieselt, aber die Stimmung ist gut.
    Reggie wurde abgesandt, um vor dem Stadtrat zu sprechen, und Ada Fellowes wird die Petition mit mehr als zweihundert Unterschriften vorlegen (einige gefälscht), die allerdings zu spät kommt, um den Planungsbeschluss der Stadt noch zu beeinflussen. Doro, die

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