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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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    Sie lässt die Gedanken davontreiben wie die Schneeflocken und denkt stattdessen an den riesigen Schlüpfer, was sie daran erinnert, wie sie als Kinder in der Kommune gekichert haben, wenn Doro und Moira ihre Baumwollunterhosen an die Leine hängten. Die Großen hatten sich für so befreit gehalten, damals, als jeder mit jedem schlief, als hätten sie den Orgasmus erfunden. Heutzutage müssen die Frauen für das Recht kämpfen, nein zu sagen.
    Arme Doro – sie wird Oolie vermissen, wenn sie auszieht. Vielleicht könnte ihr ein kleiner Hamster Gesellschaft leisten. Und Oolie hätte vielleicht auch gern einen Hamster, wenn sie in ihre neue Wohnung zieht. Damit wären schon zwei von den vieren versorgt – drei, denn sie selbst wird auch einen nehmen. Und Mr. Philpott vielleicht?
    Dann fragt sie sich, ob es moralisch vertretbar ist, die kleine glückliche Familie auseinanderzureißen, nur um der Menschen willen. Vielleicht sollte sie sie einfach hinter dem Bücherregal leben lassen, glücklich bis ans Ende aller Tage.
    Shakespeare oder Wittgenstein hätten bestimmt eine Antwort.

Serge
    Ein verwaschener BH-Träger
    »Wir brauchen neue Philosophie, um neue ökonomische Umwelt zu verstehen, Sergej.«
    Eine dunkle Haarsträhne hat sich aus Maroushkas Knoten gelöst, und sie kaut geistesabwesend darauf herum, als sie sich in dem engen Glaskasten auf dem Drehstuhl zu ihm umdreht. Er muss sich zurückhalten, um nicht die Hand nach ihr auszustrecken und die Strähne zurückzustreichen.
    »Ich dachte, die Erholung des Immobilienmarkts ist die neue Philosophie, Prinzessin. Morgenluft.«
    Sie trägt einen anthrazitgrauen Rock, eine cremefarbene Seidenbluse und ein tailliertes Jackett. Das strenge Business-Outfit unterstreicht ihre Zierlichkeit, so dass sie wie ein kleines Mädchen wirkt, das sich als Erwachsene verkleidet hat.
    »Morgenluft ist für Durchschnittsinvestor, Sergej.« Sie hat die nylonbestrumpften Füße unter dem Stuhl gekreuzt, ein Paar wildlederne Plateauschuhe liegt unter dem Schreibtisch. »Jetzt haben wir neue private Hedgefonds. Bringt große finanzielle Vorteil für Fall, wenn Morgenluft platzt.« Sie sagt es mit einem nervösen kleinen Kichern und zieht sich die Haarsträhne aus dem Mund.
    »Du verkaufst ein Produkt an Investoren und wettest gleichzeitig darauf, dass es platzt?«
    »Ist nicht gegen Gesetz«, sagt sie, ohne ihm in die Augen zu sehen.
    »Nein, aber ...«
    »Wir haben Möglichkeit von unbegrenzter Gewinn mit begrenzter Risiko.«
    Anscheinend ist Morgenluft (deren Frontmann er jetzt ist, wie sie ihn erinnert) nicht mehr als ein Vehikel, um das Interesse von Investoren zu wecken, vollgepackt mit Hypotheken, die so verlässlich wie Zeitbomben sind. Das Ziel ist, den kurzfristigen Rückstoß der Immobilienpreise abzuschöpfen – den »Dead-Cat-Bounce« –, doch sie hat schon berechnet, dass die Preise in wenigen Monaten wieder fallen werden. Und sie hat Chicken geholfen, einen komplexen privaten Hedgefonds zu konstruieren, der riesige Profite einfährt, wenn sich die Rezession vertieft und die Zahl der geplatzten Hypotheken steigt. Als sie die Hand ausstreckt, um anhand eines Graphs auf ihrem Bildschirm die Details zu erklären, rutscht ihr der BH-Träger über das Schlüsselbein, gräulich verwaschen unter der cremefarbenen Seide ihrer Bluse.
    »Ist das ... moralisch vertretbar?«
    Sie kichert niedlich, und der BH-Träger rutscht noch einen Zentimeter vor.
    »Moral ist für Durchschnittsmensch, Sergej. Nicht für uns.«
    Soll er sie darauf hinweisen, dass ihr BH-Träger zu sehen ist? Er sieht schmuddelig aus, aber irgendwie sexy.
    »In der neuen Zeit ist Durchschnittsmensch arm, nur Elite ist reich. Ist besser zu Elite zu gehören, Sergej.«
    Wenn er sie nur an den Schultern packen und diese Besessenheit von Traumgraphen und Fantasiezahlen aus ihr herausschütteln könnte, die einst auch ihn fasziniert haben.
    Prinzessin Maroushka!
    Höre das Lied von Serge ...
    Wenn er sich nur vorbeugen, ihr den schmuddeligen BH-Träger über die Schulter herunterschieben könnte, das Schlüsselbeinküssen und den Mund auf ihre hungrigen Zwölfjährigenlippen drücken könnte, mit denen sie jetzt wieder an der Haarsträhne saugt. Doch durch die Scheibe sieht er, wie Chicken den Gang des Handelsraums heraufgeschlendert kommt, das Jackett offen, die Krawatte gelockert. Ein Ausdruck, den er nicht deuten kann, huscht über Maroushkas Gesicht – halb Lächeln, halb Schaudern.
    Dann klingelt ein Telefon

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