Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
Nachgedanke noch einen Long Put auf SYC am AIM. Das Ganze dauert weniger als zehn Minuten, aber seine Spannung hat einen derartigen Pegel erreicht, dass es ihm wie eine Stunde vorkommt. Während der Broker die Details bestätigt, bricht ihm der Schweiß aus. Da ist wieder dieser Geruch – Anis und Benzol –, der die stickige Luft sättigt. Ja, Tim the Finn mit seinen Prostataproblemen muss hier gewesen sein, der arme Teufel.
Als alle Transaktionen bestätigt sind, schleicht er vorsichtig auf den Flur und geht an seinen Platz zurück. Das Retracement ist immer noch da, schimmert durch den Strang der Graphen auf dem Monitor wie eine Meerjungfrau, die sich bei Ebbe in einem Fischernetz verfangen hat – man muss sie nur reinholen. Sollten die Märkte wirklich fallen, könnte das hier die große, die einmalige Gelegenheit sein, seine Tausende einzuholen, wenn die Kurse abstürzen. Er betrachtet das schimmernde Muster der Zahlen, die verblassen, sich auflösen und wieder aufbauen, und flüstert leise: »Also los!«
Doro
Unter dem wachsamen Auge von Che Guevara
Wie merkwürdig, denkt Doro, während sie ins Gemüsebeet Löcher sticht, dass weder Serge noch Clara große Begeisterung für die Hochzeitspläne ihrer Eltern gezeigt haben. Aber auch merkwürdig, dass Marcus das Ganze überhaupt vorgeschlagen hat, im Zusammenhang mit Oolies Adoption. Mit Oolie hat sie noch nicht darüber gesprochen. Dann müsste sie ihr nämlich erklären, dass Doro und Marcus gar nicht ihre wahren Eltern sind, und Doro ist noch nicht bereit, den ganzen Kummer wieder aufzuwühlen, der bis in die Zeit der Kommune zurückgeht.
Heute Morgen auf dem Rückweg von der Gärtnerei, wo sie die Setzlinge gekauft hat, ist sie an dem Feldweg vorbeigefahren, der zu Solidarity Hall führte, und plötzlich wurde sie von einer solchen Wehmutsattacke gepackt, dass sie nicht mal sagen könnte, ob sie süß oder bitter war. Früher hat sie sich nie über irgendwas den Kopf zerbrochen. Früher war alles lebendiger, die Tage waren länger, die Farben bunter, die Musik besser, die Leute lustiger. Sie lächelt bei den Erinnerungen – und weiß, es ist ein Zeichen dafür, dass sie alt wird, aber sie gestattet es sich trotzdem.
Die trockene Erde zerkrümelt in ihren Händen, als sie die Beete vorbereitet und sich fragt, ob es vielleicht noch zu früh für den Sommerkohl ist. Sie pflanzt die Setzlinge in die Löcher und drückt sie mit den Fingern fest. In gewisser Weise sindauch ihre Kinder ihre Setzlinge, die sie in den lockeren Boden der Siebziger gepflanzt hat, in den reichhaltigen Humus durchgerotteter Ideen, den sie damals durchgegraben haben wie neugierige Würmer auf der Suche nach Abenteuern und einer freieren, gerechteren Gesellschaft – was immer das sein soll. Wie so vieles kam ihr auch das früher klarer und heller vor. Jetzt müssen ihre Setzlinge in einer viel kälteren Welt wachsen. Sie macht sich Sorgen. Werden sie überleben und gedeihen?
Sie dachte, sie würde den Garten am meisten vermissen – fast tausend Quadratmeter wildes Land, die sie gezähmt und urbar gemacht hat –, die Sonnenblumen, die Tomaten und sogar die verfluchten Kaninchen. Als sie 1994, nach dem Brand, in das Haus in Doncaster mit seinem handtuchgroßen Vorgarten umgezogen sind, hat sie sich auf die Warteliste für einen Schrebergarten setzen lassen. Es hat sieben Jahre gedauert, bis sie endlich an der Reihe war, aber jetzt ist sie hier, in diesem sonnigen, vergessenen Winkel am Rande der Stadt, und pflanzt Sommerkohl. Und begreift, dass es nicht der Garten ist, den sie am meisten vermisst, sondern ihre Jugend, und die Kindheit ihrer Kinder.
Im November 1969 waren sie in Askern angekommen, beschwingt von dem Idealismus und der Fantasie, die so typisch für die 68er-Ära waren. Damals war es absolut verpönt, zuzugeben, dass man eine Privatschule besucht hatte oder zur Oberschicht gehörte oder aus einer reichen Familie kam. Und deshalb war es eine echte Überraschung, als sich herausstellte, dass der Rote Fred trotz seiner Wollmütze und dem Cockney-Englisch Zugriff auf ein Familienvermögen hatte. Beflügelt vom Überschwang ihrer Gespräche zog er eines Tages los und ersteigerte bei einer Auktion der staatlichen Bergbaugesellschaft für 1300 Pfund die einstige Villa des Zechenbesitzers in Askern, ohne je dort gewesen zu sein. Die Neuigkeit gab er bekannt, als sie in Hampstead um den Küchentisch saßen.
»Wir gehen von der theoretischen Praxis zur eigentlichen Praxis
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