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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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nur eine Linie«, sagte Marcus, nahm das winzige Händchen des Babys und drehte es um, damit Clara die Handfläche sehen konnte. »Das heißt, dass sie beim Aufwachsen viel Hilfe braucht.«
    Er nahm sie in den Arm und setzte sie auf seinen Schoß. »Was meinst du, Clarie? Bist du dafür bereit, mein ganz besonderes Mädchen?«
    Sie nickte. Es leuchtete ihr nicht ein, was eine Linie auf der Hand mit dem Aufwachsen zu tun hatte, aber sie mochte Marcus’ Wärme und den Tabakgeruch seines Atems an ihrer Wange. Sie wollte, dass sie die Besondere war, nicht dieser schweigende Eindringling.
    »Wir haben einen großartigen Namen für sie gefunden«, verkündete Chris Howe, der den Kopf durch die Tür streckte. »Wir nennen sie Oolie-Anna, zu Ehren von Lennie.«
    Es war ein komischer Name, aber er war schön. Clara wusste alles über Lennie, den Anführer: von Fred, der den Kindern das Foto eines wilden Mannes mit einem großen Mantel und einem Ziegenbärtchen gezeigt und ihnen die Geschichte erzählt hatte, wie Lennie mit dem Zug zum Bahnhof von Spinnland gefahren war. Was das alles mit Oolie-Anna zu tun hatte, wusste sie nicht. Sie blieb eine Weile an ihrem Bettchen stehen, in der Hoffnung, das Baby würde die Augen öffnen oder irgendwas Interessantes machen, aber es lag nur da und schnorchelte im Schlaf.
    Sie ging Serge holen, der im Anbau war und mit Fred ›Doctor Who‹ im Fernsehen sah.
    »Komm und guck dir das neue Baby an.«
    Er kam mit und stellte sich an Oolies Bett und versuchte so zu tun, als wäre er interessiert. Sie sah, wie er das Baby, als er sich unbeobachtet fühlte, mit dem Finger anstupste. Es wimmerte leise, dann war es wieder still.
    »Sieht nett aus«, sagte er unverbindlich.
    Sie ging hinauf in ihr Zimmer und bastelte eine Karte aus zusammengefaltetem Papier, auf die sie Herzen und Blumen und Schleifen malte, in die Mitte ein Baby und die Worte: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Oolie-Anna« in großen roten Buchstaben. Sie gab die Karte Megan, die zu weinen anfing.
    Die Ankunft von Oolie-Anna (keiner nannte sie jemals Uljana) veränderte ihrer aller Leben. Während die Erwachsenen ihren Alltag umstellten, damit immer jemand bei Oolie-Anna war, übernahm Clara, gerade zehn geworden, mehr Verantwortung für die anderen Kinder, die sie zur Schule und wieder nach Hause brachte, deren Spiele sie beaufsichtigte und deren Hausaufgaben sie kontrollierte. Es schien kein großer Schritt, nachdem sie schon längst für die Haustiere zuständig gewesen war – erst den Hamster, dann die Kaninchen –, wenn auch mit mäßiger Erfolgsbilanz.
    Clara hat nur eine verschwommene Erinnerung an Megan, die alle Kinder gewöhnlich ignorierte, Knirschkarl und Oolie-Anna eingeschlossen. Doro dagegen stürzte sich mit Leib und Seele in ihre neue Rolle als Mit-Mutter eines Down-Syndrom-Kindes, als könnte sie durch reine Willenskraft die entwicklungsstörende Wirkung des Extra-Chromosoms ausgleichen. Stundenlang übte sie mit Oolie Sprechen und Motorik, um die äußeren Anzeichen ihrer Behinderung zu minimieren. Sie las Ratgeber, belagerte Gesundheits- und Sozialämter und führte einen Feldzug gegen Beleidigungen und engherzige Diskriminierung. Oolie-Anna bei der vollen Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu helfen, war Doros neues Projekt; und auch wenn es schwer war, wirklich eifersüchtig auf Oolie zu sein, ärgerte sich Clara manchmal über die viele Aufmerksamkeit, die sie bekam.
    Ein neuer Oolie-Plan wurde zu den anderen Plänen gehängt,die Eltern wechselten sich mit ihrer Betreuung ab. Doro reduzierte ihre Stundenzahl am College. Marcus tauschte seinen Job bei der Bergbaugesellschaft gegen einen Teilzeitlehrauftrag für Volkswirtschaft am Doncaster Institute, damit er mehr Zeit zu Hause verbringen konnte. Chris Howe wechselte die Seiten und fing beim Arbeitsamt an. Der rote Fred blieb zu Hause und startete etwas, das sich »theoretische Praxis« nannte und anscheinend hauptsächlich aus Telefonieren bestand. Inzwischen kam etwas mehr Geld herein. Gelegentlich gab es einen kleinen Luxus – Schokoladenkuchen und Eis, einmal die Woche Fish and Chips, Bier und manchmal eine Flasche Wein für die Großen. Nick Holliday, der sich nichts aus Babys machte, verbrachte mehr Zeit mit den größeren Kindern, und von ihm lernte Clara, dass man als Lehrer nicht nur Leute herumkommandierte. Megan, schweigsam und katzenhaft, beobachtete das Ganze unbeteiligt. Es war schwer zu sagen, was sie von all dem hielt.
    Baby Oolie-Anna

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