Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
doch gegen Mittag gab es immer noch keine Anzeichen von Bewegung in ihrem Zimmer. Erst als Fred und Marcus am Nachmittagmit neuen Vorräten vom Supermarkt zurückkehrten, kamen sie heraus und begannen wieder zu essen. Die blassen Kinder schlurften in den Garten und fingen an, einen Ball herumzukicken, wobei sie Doros Erbsensämlinge zertrampelten und die größte Sonnenblume köpften. Doro ging hinaus, um sich zu beschweren, aber als sie ihre leuchtenden Augen und die roten Wangen sah, brachte sie es nicht übers Herz, ihnen zu sagen, dass die Kinder nur auf dem struppigen Wiesenstück hinter den Obstbäumen spielen sollten.
Bis Donnerstag waren die Lebensmittelvorräte wieder erschöpft, und bevor sie zum Supermarkt fuhr, fragte Doro Chris Howe, ob sie einen Beitrag leisten wollten.
Chris Howe sah sie nicht direkt an. »Wie haltet ihr es mit dem Teilen? Ich dachte, bei euch läuft es je nach Fähigkeit und Bedürfnissen.« Er zeigte auf den Spruch am Kühlschrank.
»Ja, das stimmt«, sagte Doro. »Jeder leistet einen Beitrag, je nachdem was er oder sie verdient.«
»Wir verdienen nichts. Wir leben von der Stütze.«
Er sagte es mit einer solchen Endgültigkeit, dass Doro nur nickte und zum Wagen ging.
Schäumend vor Wut schob sie den Einkaufswagen durch den Supermarkt und belud ihn mit geschnittenem Weißbrot (reduziert), Kartoffeln (reduziert), Baked Beans (drei Dosen zum Preis von zweien), Cornflakes (Riesenpackung der Hausmarke), Teebeuteln (dito), Margarine (billig und eklig), Käse (milder Cheddar, in Plastik verpackt), Tomatensuppenpulver (billiger als aus der Dose), Linsen, Schälerbsen, roten Kidneybohnen, Haferflocken (alles Hausmarke), Dosentomaten (drei für zwei) und einer großen Tafel Schokolade von Cadbury, die sie auf der Heimfahrt aß.
»Hast du kein Bier gekauft?«, fragte Chris Howe, der ihr beim Auspacken half. Er trug ein ausgeleiertes Che-Guevara-T-Shirt und keine Hose. Und, wie sie schaudernd bemerkte, auch keine Unterhose.
»Können wir uns nicht leisten.«
Während er das Brot, die Kartoffeln und die Cornflakes in der Speisekammer verstaute, schlurften die bleichen Kinder aus dem Garten herein, rissen die Cornflakespackung auf und begannen sich die Cornflakes trocken in den Mund zu stopfen.
»Lasst das!«, schnauzte Doro.
Mit traurigen Augen sahen sie sie schweigend an.
Worauf sich Doro in ihr Zimmer zurückzog, mit einer Tasse Tee, einem schlechten Gewissen und leichter Übelkeit von der Schokolade. Das Buch, das sie gerade las, ›Die Frau am Abgrund der Zeit‹ von Marge Piercy, war von ihrem Nachttisch verschwunden und sie musste sich mit einer zwei Jahre alten Ausgabe der ›New Left Review‹ von Marcus’ Nachttisch begnügen. Das Problem beim Leben in einer Kommune war, dass alles immer der Entropie entgegenstrebte. Wäre Marge Piercy je nach Solidarity Hall gekommen, hätte ihre utopische Zukunftsvision vielleicht ein wenig chaotischer ausgesehen. Es klopfte, und Chris Watts kam mit dem Buch in der Hand ins Zimmer geschlichen.
»Ich hoffe, es macht dir nichts aus. Ich hab mir dein Buch ausgeliehen.«
Es machte Doro sehr wohl etwas aus, aber sie sagte nichts. Sie sah mit einem Blick, dass ihr Lesezeichen im letzten Drittel verschwunden und durch ein Zigarettenpapier am Anfang des Buchs ersetzt worden war. Chris Watt hockte sich ans Fußende des Betts und sah sich im Zimmer um. Sie trug eine schmuddelige Leinenbluse und keinen BH.
»Du und Marcus, seid ihr ein Paar oder so?«, fragte sie.
»Mhm.« Doro versuchte unverbindlich zu klingen. Ein Paar zu sein war in manchen Kreisen verachtungswürdiger als die Bluthunde des Kapitals.
»Chris und ich auch. Aber wir dachten, es wäre an der Zeit, mal was auszuprobieren ... du weißt schon ... eine weniger monogame Art der Beziehung.«
Doro dachte an Chris Howe und den schlaffen rosa wurstartigen Penis, der unter seinem T-Shirt baumelte, und eine weitere Welle der Übelkeit überkam sie.
Chris Watt griff nach der ›New Left Review‹, die Doro aus der Hand gelegt hatte, und begann sie durchzublättern. Doro nahm ihren erdigen, seifigen und leicht nach Kräutern duftenden Geruch wahr. Offensichtlich hatte sie sich Moiras Shampoo geliehen.
»Nicht meinetwegen. Er will das mit der Nicht-Monogamie ausprobieren«, erklärte Chris nach einer Weile, fast flüsternd.
»Und ... bist du nicht eifersüchtig?«, fragte Doro, die sich an ihre eigenen Anfälle unausgesprochener Eifersucht erinnerte, hauptsächlich in Bezug auf
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