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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Was tut er hier, in diesem Hamsterrad, mit diesen Leuten im gleichen Käfig? Er ist anders. Er wird sich nicht zum ziellosen Konsum verführen lassen, zur fetischartigen Hochstilisierung teurer Objekte, dem Feiern bis zur Bewusstlosigkeit, einem Leben, bestimmt von Gewinn und Verlust, einem Biorhythmus, bestimmt von Aufputsch- und Beruhigungsmitteln. Er braucht das Geld nicht, um Schnickschnack zu kaufen, sondern weil er sich die Freiheit erwerben will – die Flucht in das kleine Haus am Strand in Brasilien. Philosophie. Mathematik. Dichtung. Sex bis zum Morgengrauen.Maroushka. Na gut, vielleicht auch ein, zwei hübsche Anzüge.
    Neben den Online-Shopping-Meldungen enthält Chickens Posteingang eine heiße Korrespondenz mit verschiedenen Frauen, und erst hatte Serge ein schlechtes Gewissen beim Lesen, aber die verlockenden Betreffzeilen sind stärker als seine Skrupel. Im Mai war es Gabriella, ein walkürenhaftes Prachtweib von Fixed Incomes mit schwindelerregenden Absätzen, in denen sie den meisten männlichen Kollegen bei der FATCA auf den Kopf spucken kann; zum Geburtstag hat sie ihrem »knuddeligen Kenny« einen Tiger-Herrenstring geschenkt. »Ich will deinen Saft schlürfen«, stand im Betreff ihrer letzten E-Mail. (Babs hat nie so was zu ihm gesagt!)
    Vor Gabriella war da jemand namens Chrissie aus der Treasury-Abteilung; ihre Betreffzeile lautete »Hintern versohlen«. Serge hat keine Ahnung, wie sie aussieht, was nicht erstaunlich ist. Der Kontakt zwischen Frontoffice (Trader, Arbitrageure, Fondsmanager und so weiter) und Backoffice (das weniger gut bezahlte Fußvolk, dem die Verwaltung der Handelsdaten, das Konten-Management und die Betreuung der Geld verdienenden Elite obliegt) wird nicht gern gesehen, weil geheime Absprachen zwischen Front- und Backoffice in der City einer der Hauptwege des Insiderhandels sind. Chicken ist also ein Hasardeur und Regelbrecher, der sowohl die FATCA als auch seine Frau betrügt. Doch Top-Banker wie er stehen unter enormem Druck, und wenn das die Art ist, auf die sich Chicken gern entspannt, wird Serge ihn deswegen nicht verurteilen.
    Chrissie hat Ken milden Bestrafungen unterworfen, allerdings nichts im Vergleich zu Juliette – ohne erkennbare Verbindung zur FATCA –, die Chicken jeden zweiten Freitagnachmittag in einer Wohnung in Clerkenwell übers Knie legt.
    »Du böser Junge, du«, schreibt sie. »Am Freitag um 18.00 Uhr will ich dich sehen, und vergiss nicht, die Spezialstiefel inGröße 42 mitzubringen ...« (Größe 42 ist ziemlich groß für eine Frau, oder nicht?), »... und wenn ich erfahre, dass du irgendwelches Schweinzeug mit anderen Damen getrieben hast, werde ich dich mit Velcro fesseln und lass dich um Gnade winseln und peitsche dich aus, und du weißt, was dann kommt.«
    Er versucht sich Chicken vorzustellen, gefesselt und vor Juliettes Größe-42-Stiefeln um Gnade winselnd, während eine Peitsche im Ben-Hur-Stil auf ihn niederfährt. Das Bild hat einen gewissen Reiz.
    Von Chickens sexuellen Abenteuern zu lesen erfüllt Serge mit einer Mischung aus Missbilligung und Neid, die ihn seltsam erregt. Oder auch nicht seltsam, denn Serge hat mit keiner Frau mehr geschlafen, seit ... Verdammt, die Trennung von Babs, seiner Freundin am Queens’-College, ist mehr als ein Jahr her. Masturbieren hat natürlich seine Vorteile: es ist billig, ungefährlich, und das Anbandeln ist weniger zeitraubend. Beim Gedanken an Babs bekommt er ein schlechtes Gewissen. Er muss Otto fragen, wie es ihr so geht.
    Babs studierte Botanik und war ein molliges, lebenslustiges Mädchen mit Sommersprossen, dickem dunklem Haar, das ihr ins Gesicht fiel, und bleichen kräftigen Beinen in unvorteilhaften kurzen Röcken. Eigentlich war sie nicht sein Typ, aber die Mädchen, die er begehrte, spielten in einer anderen Liga. Die Sache ist die, die Hürde der für Cambridge erforderlichen Noten zu nehmen war gar nichts im Vergleich zu der gesellschaftlichen Schwelle, als er erst dort war. Wobei nicht die althergebrachten Essensrituale das Problem waren – auf den College-Speisesaal hatte ihn der gelbe Tisch in der Kommune mit seiner Bohnenwurf- und Löffelhämmer-Etikette hinreichend vorbereitet (auch wenn die Vielzahl der Bestecke anfangs verwirrend war). Auch nicht die exklusiven College-Clubs – denen er auswich, indem er sich mit anderen Fraktal-Freaks zusammentat. Oder die Tutoren – die im Allgemeinen nett undermutigend waren. Nein, es waren die Frauen, diese furchterregend makellosen,

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