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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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beherrschten, von vornehmen Schulen kommenden Prinzessinnen. Wie zum Teufel kriegte man die ins Bett?
    Sie lachten über seine Witze, tranken seinen Kaffee, aßen sein Essen, erlaubten ihm sogar, sie bei Prüfungsängsten und Liebeskummer mit einem platonischen Arm um ihre Gazellenschultern zu trösten. Doch das war das äußerste der Gefühle. Es gab Jungs an seinem College, einen Meter neunzig große blonde Ruderer-Typen von obskuren Privatschulen, die mussten nur den Innenhof betreten, und schon schien eine Phalanx von Mädchen auf sie zuzustürmen, die sich im Galopp die Schlüpfer auszogen. Ihm passierte das nie. In seinem zweiten Jahr wohnte im Zimmer über ihm ein amerikanischer Stipendiat namens Oliver, und die Treppe war ständig voller weinender Mädchen – Serge musste bloß die Tür aufmachen und die Hand ausstrecken, um eine reinzuholen, aber sie wollten immer nur seinen Toast essen und über Oliver sprechen.
    Daher war er Babs dankbar, einer Lehrertochter aus Manchester, die er im Jahr vor seinem Examen kennenlernte und die das Thema Sex gut gelaunt und unkompliziert anging. Sie trafen sich nach den Vorlesungen in der Bar, gingen samstags manchmal ins Kino oder aßen Pizza und hörten Martha Wainwright. Nach drei Monaten zog sich Babs eines Abends plötzlich die Kleider aus und stieg in sein Bett. Ihr Körper war sahnig und plump, mit baumelnden weichen Brüsten, und sie sagte ohne Hemmungen, was sie wollte, und überwand so seine Nervosität. Er war sich nie ganz sicher, ob er ihre Klitoris korrekt geortet hatte, so wie es in ›Men’s Health‹ stand, aber nachdem sie Liebe gemacht hatten, klammerte sie sich leise wimmernd an ihn, was er ziemlich rührend fand. Er hielt sie fest und flüsterte ihr süße Liebesworte ins Ohr, die sie, wie er hoffte, nicht allzu wörtlich nehmen würde.
    Am Anfang war Babs anspruchslos und ließ ihm den Kopffrei für Mathe. Er war ihr sogar ein paarmal untreu. Aber als sie nach rund drei Jahren ihrer Beziehung erwähnte, dass sie sich ein Baby wünschte, befiel ihn Panik. Er war erst sechsundzwanzig. Babys waren süß – er hatte nichts gegen sie –, aber die Kombination von Babs und Baby löste ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit in ihm aus, wie es ein Gefangener empfinden musste, wenn er die Zellentür zufallen hörte.
    In seiner panischen Suche nach einem Ausweg landete er bei einer Veranstaltung zur Anwerbung von Uni-Absolventen, wo ein ehemaliger Kommilitone von vor drei Jahren, den alle für einen vollkommenen Loser gehalten hatten, in einem Dries-Van-Noten-Anzug auftrat und von den Möglichkeiten in der Finanzwelt schwärmte. Serge steckte seine Visitenkarte ein und schickte ein paar Bewerbungen für City-Jobs los, ohne Babs etwas zu sagen, nur so, als Experiment. Er hatte nicht so schnell mit einem Angebot gerechnet. Das Gehalt, das die FATCA ihm anbot, war schwindelerregend, vor allem nach den Jahren mit dem mageren Doktorandenstipendium. Er zögerte, aber nicht lange.
    Natürlich hatte er ein schlechtes Gewissen. Aber er hätte sich vermutlich noch schlechter gefühlt, wenn sie zusammen geblieben wären. Es war nicht nur die Baby-Geschichte, die zu seiner Panik beitrug; es war die Vorstellung, ein ganzes Leben in Babs rundlicher, weicher Umarmung gefangen zu sein. Er war einfach noch nicht bereit dafür. Er war noch nicht bereit, sich von seinem Traum eines freien, unbekümmerten Lebens weit weg von hier zu lösen, das er mit seiner Traumfrau teilte, die weder bedürftig noch laut war, wie Babs in letzter Zeit, sondern distanziert und herablassend wie die makellosen Prinzessinnen. Seine Traumfrau, mit der er bereits eine intensive einhändige Affäre hatte, war schlank und schön, und auch wenn die Details ihres äußeren Erscheinungsbilds noch verschwommen waren, wusste er, dass er sie sofort erkennen würde, wenn sie eines Tages an ihm vorbeischwebte, in sich selbst versunken,ohne ihn eines Blickes zu würdigen, nur der Hauch eines amüsierten Lächelns würde ihre Lippen umspielen.
    Jemand wie Maroushka eben.
    Als er sich aus Chickens E-Mail-Konto aus- und in das Kenporter1601-Konto einloggt, entdeckt er erschrocken eine umfangreiche Betriebsamkeit, einen wahren Schauer von Handelsaktivität, Zehntausende, die im Laufe des Tages rein- und rausgegangen sind. Was ist hier los? Er schaut sich die Details an und entdeckt, dass Chicken in jüngster Zeit mit den gleichen Aktien aus Yorkshire gehandelt hat wie er. Wie kommt das? Hat Chicken einen Bezug dorthin?

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