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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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noch weniger Anreiz, Fragen zu stellen. Schließlich stiehlt Serge nicht, sondern leiht sich nur (für kurze Zeit) den Ertrag aus der Straftat eines anderen.
    Außerdem dürfte Chicken diese Woche andere Sorgen haben. Nach einem trägen Sommer herrscht nun Panik auf allen Märkten weltweit. Der Footsie ist unter 5000 gerutscht; an der russischen Börse wurde der Handel ausgesetzt; die Goldpreise sind so hoch wie nie zuvor; und die Regierungen rotieren. Der düstere Darling mahnt zur Ruhe. Der grimmige Gordon verspricht Disziplin. Lloyds übernimmt die schwächelnde HBOS, und sofort sind zwei Milliarden Pfund ihres Werts dahin. Die Gerüchte kochen.
    »Sie wollen es auf die Leerverkäufe schieben«, gackert Chicken bei seinem morgendlichen Rundgang, auch wenn die meisten Trader schon selbst daraufgekommen sind. »Sie tun so, als hätten wir mit Leerverkäufen den Crash verursacht, dabei sieht jeder Vollidiot, dass wir leer verkaufen, weil die Aktien crashen. Die rationale Reaktion auf die Marktbedingungen. Und jetzt wollen sie Leerverkäufe verbieten.«
    Serge hört ihn noch einen Gang weiter, die Stimme brodelnd vor unterdrückter Wut.
    »Wisst ihr, was in diesem Land falsch läuft? Dass sich diese Gluckenstaatpinsel in die freie Wirtschaft einmischen. Seht zu, dass ihr eure Positionen öffnet, bevor sie uns die Tür zuknallen.«
    Vielleicht wegen all dem Stress hat Tim the Finn besonders nachhaltige Beschwerden mit seiner Prostata, und das wird auch zum Problem für Serge, weil er, während Tim auf der Behindertentoilette langsam seine Blase leert, nicht reinkann, um seine Orders zu erteilen. Trotzdem findet er zwischendurch die Gelegenheit und handelt schnell und präzise, indem er das Marktgeschehen genau beobachtet und berechnet. Das Glück ist auf seiner Seite. Bis zum Ende der Woche, als die Finanzaufsichtsbehörde ein befristetes Verbot für Leerverkäufe der Aktien von neunundzwanzig Schlüsselunternehmen verhängt, hat er seine Verluste eingespielt und ist sogar zwanzigtausend im Plus. Wenn er gerade nicht handelt, sieht er sich heimlich im Internet Immobilienseiten mit Angeboten in Brasilien an.
    Am Freitag beschließt er, dass er ein bisschen Eskapismus braucht, stöbert im Netz nach Filmen und entscheidet sich für Iron Man . Die Mischung aus subtiler Comic-Ironie und Retro-Science-Fiction-Heldentum passt gut zu seiner Stimmung, und die wohltuende Botschaft, dass das Gute über das Böse siegt und der Frieden triumphiert, ist beinahe spirituell.

Clara
    Iron Man
    Clara bereut, dass sie ihren Samstagabend damit vergeudet hat, in Meadowhall Iron Man zu sehen. Der Film war eine kindische Männerfantasie, und der Typ, mit dem sie im Kino war, ein Partner aus Ida Blessingmans Kanzlei, hatte einen dünnen schwarzen Schnurrbart und kalte gummiartige Finger, die ständig in ihren BH wanderten.
    »Er hat sich gerade von seiner Freundin getrennt«, hatte Ida gesagt. »Ein Blind Date wird ihm guttun.« Wahrscheinlich dachte sie, sie täte auch Clara einen Gefallen.
    Den ganzen Abend drehte er an ihren Brustwarzen herum wie an einer Playstation-Konsole, bis sie ihm irgendwann den Ellbogen ins Zwerchfell rammte, worauf er ein erfreuliches Ächzen ausstieß.
    »Was ist denn?«, röchelte er.
    »Ich versuche mich auf die Handlung zu konzentrieren.«
    Nach dem Kino fuhr er sie mit seinem Audi nach Hause, sie küssten einander flüchtig auf die Wange, aber sie lud ihn nicht nach oben ein. Er hatte sie nicht mal bei der Wahl des Films gefragt. Das ist das Problem bei Männern – sie vermischen Fantasie und Realität. Kein Wunder, dass Ida Käsekuchen bevorzugt.
    Sie gießt Wasser über einen Kamillenteebeutel und sieht zu, wie er sich aufbläht, während sie den deprimierenden Teichwassergeruch einatmet, und dabei muss sie an Josh denken,der wahrscheinlich auch Iron Man ausgesucht hätte, aber dafür wäre das Gefummel nicht ganz so verzweifelt gewesen. Es ist zwar nicht Oolies Schuld, dass sie sich getrennt haben, aber die Tatsache, dass Oolie bei ihrer letzten Begegnung mit Josh gesagt hatte: »Clarie sagt, du hast nie ’ne eigene Meinung«, war wenig hilfreich.
    Bevor sie ins Bett geht, sieht sie nach ihren Facebook-Freunden, hauptsächlich Leuten aus der Studienzeit, die in Sheffield geblieben sind, weil sie, wie Clara, die Nähe des Peak District schätzen – Wandern, Radfahren, Klettern und andere sportliche Aktivitäten. In letzter Zeit haben alle angefangen, Paare zu bilden und Fotos von glatzköpfigen,

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