Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Lux
Vom Netzwerk:
Altar liegen. Ein Mann beugte sich über sie. Beide waren nackt. Es war in einer Kirche. Er selbst schwebte hoch oben. Er kannte diesen Ort. Er war als Kind mit den Nonnen hier gewesen.
    Der Altar stand in der Mitte eines Pentagramms aus Kerzen. Männer standen in einen Kreis darum und sahen zu, wie die junge Frau schrie, während der Mann in sie eindrang.
    Im zuckenden Schein der Kerzen bewegte er sich auf ihr. Sam konnte ihre Tränen in der Dunkelheit sehen. Er spürte, dass ihn etwas mit ihr verband. Sie war seine Mutter.
    Er wusste, dass dies die Wahrheit war, die er immer gesucht hatte. Er fühlte den Schmerz. Seine Mutter war tot. Sie war zum ersten Mal auf dem Altar gestorben. Zum zweiten Mal kurz nach seiner Geburt. Sie hatten ihn ihr weggenommen. Sie hatte geschrien und geweint. Wie eine Löwin gekämpft. Dann ein Schuss. Schmerz.
    Ja, so ist es. Sieh nur hin. Du wirst alles erfahren.
    Der bleiche Körper des Mannes bewegte sich immer schneller. Seine Erregtheit wuchs. Dann schrie er auf. Als er zum Höhepunkt kam, warf er seinen Kopf in den Nacken. Sam sah ihm genau ins Gesicht. Nein. Das konnte nicht sein. Es konnte unmöglich sein. Es durfte nicht sein.
    Es war der Mann, für den er arbeitete. Der Mann, dem er zu seinem Amt verholfen hatte. Der Mann, in dessen Auftrag er getötet hatte. Und dieser Mann wusste, wer sein Sohn war. Er sah es in seinen Augen. Es waren seine Augen. Er hatte ihn all die Jahre beobachtet. Er hatte gewusst, was mit dem Pfarrer war. Er hatte alles gewusst. All das spürte Sam. Sein Vater hatte ihn benutzt. Als ein Instrument. Als willige Tötungsmaschine, damit er sein Amt bekleiden konnte. Es war der einzige Zweck dieses dunklen Rituals gewesen. Er wurde gezeugt, Macht zu erhalten. Gezeugt, Macht zu zerstören. Der Prozess der Zerstörung hatte bereits begonnen. Nichts konnte ihn mehr aufhalten. Es war kein Gefühl der Rache. Nicht mal der Genugtuung. Aber es beruhigte Sam, zu wissen, dass alles bereits getan war. Diese Erkenntnis erfüllte ihn mit Frieden.
    Er schwebte durch einen seltsamen Ort. Dieser abrupte Wechsel verwirrte ihn. Es war das Seltsamste, das er je gesehen hatte. Märchenhafte Wesen. Eine Stadt voll blendender Schönheit und Frieden. Gleichzeitig schien ihm jeder Ort, an dem er in seinem Leben gewesen war, ebenfalls von diesem Frieden beseelt gewesen. Als hätte er es nur nicht sehen oder spüren können. Was hatte seinen Blick getrübt? Wie hatte er diese Tatsache übersehen können? Alles war durchsetzt von dieser Ruhe. Sein früheres Leben erschien ihm so weit weg, wenn er durch diese neue Welt schwebte, die doch die Alte war. Sein Herz schlug wild und frei vor Glück in seiner Brust.
     
     
    Figaro Slinkssons Vision war ein heller Lichtstrahl, der sich wie ein langer Arm durch seinen Kopf bohrte.
    Er lag in einer riesigen Seerose, die auf dem Wasser schwamm. Bin ich jetzt ein Teichhuhn, dachte er. Er spürte, wie sein Kopf zurückgezogen wurde. Sanfte Hände drückten ihn in den warmen Schoß einer wunderschönen Frau. Alles fiel von ihm ab. Jeder Eifer, jedes Gefühl der Hast. Recht, Unrecht. Es war ihm egal. Er genoss, wie ihre Hände ihm über das Gesicht fuhren und die Schläfen massierten. Er schloss die Augen und sah eine bunte Welt, die er bereits einmal in einem Traum gesehen hatte. Nun war er dort. Immer hatte er geglaubt, dagegen ankämpfen zu müssen. Beweisen zu müssen, dass es sie gab. Er hatte schon fast selbst nicht mehr daran geglaubt. Jetzt war sie die einzige Wahrheit. Nichts anderes war vorstellbar. Er hatte es immer gewusst. Als ob er nach Hause zurückgekehrt war. Wozu musste er es allen beweisen? Es reichte ihm, dass er jetzt hier war. Mehr war nicht nötig. Hier wollte er bleiben. Wie der Garten Eden erschien es ihm. Und das war es auch.
     
     
    Laima fiel sanft in Ohnmacht. Hilflos sank sie zurück und wurde aufgefangen. Weiche, runde Lichter in unzähligen Farben. Wie auf kleinen bunten Wattebällen, die sie trugen, schwebte sie empor. Sie war hilflos, aber erleichtert. Sie besaß keinen Körper mehr. Diese Feststellung beunruhigte sie nicht. Sie war selbst eines der Lichter. Nur ein Punkt aus Bewusstsein, der durch den Raum schwebte, getaucht in weiches, liebevolles Licht.
    Der Raum war hell und wunderschön. Es gab nichts zu sehen, aber das Gefühl von Freude und Glückseligkeit durchströmte sie, während sie dahinschwebte.
    Eine Gestalt kam auf sie zu. Laima spürte die Liebe und die Verbindung. Es war ihre Mutter. Sie

Weitere Kostenlose Bücher