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Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Lux
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vielleicht schon. Was hatte er noch gesagt? Die Bretter? Ja, das war eine seiner fantastischen Ideen. Sie tastete nach ihrem Handy. Weg. Sie hatte es verloren. Vielleicht auch besser so. Wenn diese Männer tatsächlich so gefährlich waren, würden sie das Handy überall orten können.
     
    Die Bretter konnten beim handwerklichen Geschick ihres Vaters nur die Bretter sein, die die Welt bedeuten. Sie musste die Oper erreichen. Wenn sie es schaffte, sollte sie eine einigermaßen sichere Nacht haben. Im Zentrum war die Dichte an Polizisten allerdings am höchsten. Es bestand die Gefahr, ihnen direkt in die Arme zu laufen. Ihre schmutzige Kleidung ließ Laima verwahrlost aussehen. Nur bis in die Stadt, dachte sie. Sie setzte sich ganz hinten in den Bus und versteckte die dreckigen Knie ihrer Hose hinter der Sitzbank. Die sommerliche Abendluft blies durch die offenen Fenster und für einen Augenblick war es, als wehte der Fahrtwind alles mit sich fort.
    Als Laima ausstieg, versuchte sie, unauffällig in einer der Seitenstraßen unterzutauchen. Sie musste das Freiheitsdenkmal umgehen, an dem immer Soldaten Wache standen, die wiederum von Polizisten bewacht wurden. Laima nahm den Weg durch den Park, am kleinen Kanal entlang, der das Freiheitsdenkmal mit der Oper verband.
    Durch den Künstlereingang zu kommen, wäre kein Problem für sie gewesen. Wie sie im Krankenhaus fast jeden vom Personal kannte, so kannte sie in der Oper vom Pförtner bis zum Solisten ebenfalls alle. Und alle kannten sie. Aber Laima hatte kein gutes Gefühl, wenn jemand wusste, dass sie überhaupt dort war. Wenn niemand es wusste, konnte auch niemand etwas sagen. Langsam wurde sie auch paranoid. Hatte Professor Bersinsch sie angesteckt?
    Auf der Rückseite der Oper gab es ein Fenster. Sie hatte es zwar seit Jahren nicht mehr benutzt, aber es bestand die Chance, dass die wackeligen Schließen der Fenster ihr die Möglichkeit gaben, direkt in den Fundus der Oper zu gelangen. Während der Aufführungen ihres Vaters, die ihr endlos erschienen, hatte sie die Sammlung der merkwürdigsten Gegenstände in der Requisite bestens unterhalten.
    Es war ihr wie ein Wunderland erschienen. Alles gab es hier. Von riesigen Teddybären, die sie als Kind am meisten geliebt hatte, über unbeschreibliche Maschinen, Schaufensterpuppen mit veränderten Gesichtern, bis hin zu einem echten Cadillac.
    Einmal war sie in einem der Riesenteddys, der eine Mischung aus Kostüm und Maschine war, eingeschlafen. Ihre Mutter hatte ihrem Vater schreckliche Vorwürfe gemacht. Aber schließlich war sie am nächsten Tag selbst nach Hause gekommen und hatte ihren Eltern alles erzählt. Ab und an war sie auch durch das Fenster rausgeschlüpft und hatte am kleinen Kanal gespielt, wo sie eines der Schiffe, das sie gefunden hatte, an einer Schnur auf dem Wasser segeln ließ. Sie war immer zurück, bevor ihr Vater es merkte. Nur einmal hatte jemand das offene Fenster hinter ihr geschlossen. Sie hatte solange daran gerüttelt und gewackelt, bis die Griffe von alleine aufgegangen waren.
    Sie befand sich jetzt im Schatten der Oper. Die ständige Dämmerung der Weißen Nächte war hereingebrochen. Einige Passanten flanierten Eis essend am Kanal entlang. Ein Pärchen lag unweit von ihr auf dem abschüssigen Rasen am Wasser.
    Das Fenster war zum Glück nicht ausgetauscht worden. Laima breitete die Arme aus und presste die Hände gegen die Scheibe. Sie fing an zu drücken und zu wackeln. Wenn es zu fest geschlossen worden war, bestand keine Möglichkeit hineinzugelangen. Nichts bewegte sich, aber sie wusste, dass es eine Frage der Ausdauer war. Sie fühlte einen winzigen Spalt, der sich öffnete. Drinnen war es stockfinster. Nur die Griffe schimmerten matt im spärlichen Licht. Langsam bewegten sie sich. Es konnte nicht mehr lange dauern. Sie schaute sich um, ob jemand in ihre Nähe kam.
    Zwei Polizisten schlenderten ihr entgegen. Hektisch fing sie an, schneller zu wackeln. Immer schneller. Die Polizisten hatten sie noch nicht bemerkt, aber noch ein paar Schritte und sie mussten sie sehen.
    Panisch schlug sie gegen das Glas. Dann gaben die Griffe nach. Das Fenster flog auf. Die Scheibe zersprang mit einem lauten Klirren, als der Rahmen im Inneren gegen eine Wand schlug.
    „Was machen sie da?“
    Der Kegel einer Taschenlampe tastete nach Laima.
    „Polizei. Keine Bewegung! Bleiben sie, wo sie sind!“
    Laima sprang in die Tiefe. Scherben knirschten unter ihren Sohlen. Sie lief in die Dunkelheit. Das

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