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Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Lux
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Professor ausgesucht.“
    „Die Gletscherspalte, in der du dir das Genick brichst, kann gar nicht tief genug sein. Übrigens, das mit Tooms und Linda tut mir wirklich leid“, sagte Dace und lächelte überlegen.
    Laima wurde blass. Hatten alle außer ihr es gewusst?
    „Einen schönen Tag noch, Laima.“
    Wie im Nebel stieg sie die Holztreppe hinauf. Ihre Beine waren schwach. Sie versuchte, die Gedanken an das gestrige Ereignis abzuschütteln. Der Dachstuhl roch nach Teer. Er vermittelte den Eindruck, sich unter Deck eines Schiffes zu befinden. Die kleinen Fenster ließen kaum Licht hinein. Nur die Beleuchtung der Vitrinen sorgte dafür, dass man etwas erkennen konnte. In ihnen bewahrte der Professor Repliken romanischer Kreuze, afrikanische Fetische, Voodoopuppen und Schrumpfköpfe auf. Das echte Haar der Schrumpfköpfe machte ihr jedes Mal eine Gänsehaut. Bersinschs Schreibtisch war leer.
    Im Nebenraum hörte Laima den Kopierer.
    Professor Bersinsch kam aus dem benachbarten Büro.
    „Meine Sekretärin hat heute frei.“
    Er trug einen Mundschutz. Seine Haut spannte sich wie dünnes Pergament über den Knochen.
    Laima versuchte, sich den Schreck über die Veränderung seit ihrem letzten Treffen nicht anmerken zu lassen.
    „Das Tuch vor dem Mund soll mich schützen“, sagte er und hustete trocken. „Vor dem, was sowieso nicht aufzuhalten ist.“
    Seine schwerfälligen Bewegungen kosteten ihn Kraft.
    Ein kleiner rundlicher Chinese kam mit einer Handvoll Papieren aus dem Sekretariat.
    „Das ist Dr. Wu”, sagte Professor Bersinsch. „Lee und ich sind alte Kollegen. Wir haben zusammen studiert, hier in Riga. Weit hast du es dann nicht gebracht, was Lee?”
    Der Chinese lächelte verlegen.
    „Er arbeitet für die chinesische Botschaft und kämpft sich mit Stempel, Tinte und Papier durch die Bürokratie. Das beherrscht er aber wie kein Zweiter. Anders wäre es uns kaum möglich, mein Visum, das bereits beantragt werden musste, jetzt auf ihren Namen zu ändern.”
    „Auf meinen Namen?“
    „Was glauben sie, warum sie nach Österreich gefahren sind? Um sich vorzubereiten. Außerdem ist es die Chance für ihre Abschlussarbeit. Welcher Religionsethnologe träumt nicht davon, den Gottesbeweis zu finden?“
    „Und Dace?“
    „Ehrgeiz hat schon ganz andere um den Verstand gebracht. Ich war so frei, Lee ihren Personencode und ein Lichtbild zu geben. Kommen sie mit! Ich muss ihnen noch etwas Wichtiges zeigen.“
    „Wenn sie fahren“, sagte Dr. Wu in akzentfreiem Lettisch, „sehen wir uns morgen um halb zehn am Flughafen. Sie fliegen erst in die Schweiz. Dort treffen sie auf die anderen Expeditionsteilnehmer, bevor sie Richtung Himalaya aufbrechen und in die Volksrepublik China einreisen werden. Unsere Regierung gestattet nur einigen Wenigen, sich in dieser politisch heiklen Region aufzuhalten. Deshalb müssen sich Forscher verschiedener Disziplinen zu solch seltenen Gelegenheiten zusammenschließen. Ich werde mich jetzt zurückziehen. Es gibt noch einiges zu regeln.“ Er gab Laima die Hand.
     
    Sie gingen mit Dr. Wu die breite Treppe hinunter. Während er das Museum verließ, stiegen sie in den Keller hinab. Unter der Treppe befand sich eine Holztür. Professor Bersinsch schloss sie auf und griff nach einem Lichtschalter, worauf eine Reihe Glühbirnen angingen. Der modrige Geruch aus Kirchen, von Erde und Weihrauch, schlug ihnen entgegen.
    Der Keller diente als Lager für Ausstellungsstücke, die gerade nicht gebraucht wurden. Es schien, als würde nur ein Bruchteil gezeigt, denn hier unten war alles bis zur Decke vollgestopft. Alte Fahnen, Schiffsmodelle, Anker, Ritterrüstungen.
    „Jetzt befinden wir uns unter dem Klosterhof“, sagte Professor Bersinsch, nachdem sie sich bereits einige Zeit durch das undefinierbare Labyrinth von Artefakten gewunden hatten. Es erschien ihr wie eine Zeitreise zurück durch die Jahrhunderte, in einem stickigen Tunnel, der kein Ende zu nehmen schien.
    „Hier ist es“, sagte er und blieb vor einer freigeräumten Öffnung in der Wand stehen. Einige Exponate waren beiseitegestellt. Neben einem kleinen Rundbogen in der Mauer lag ein Haufen feinsäuberlich gestapelter Backsteine.
    „Sehen sie“, er deutete auf den Boden, „ein Granitblock, der den Anfang einer Treppe markiert. Vermauerte Rundbögen sind nichts Besonderes, aber er fiel mir auf, weil der Stein unter der Mauer hervorragte. Wir befinden uns hier bereits unterhalb des Doms. Präzise liegt das, was wir jetzt sehen

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