Die Wesen (German Edition)
seien zwei Chinesen gewesen. Andere waren sich sicher, es waren drei Russen. Und die Dritten glaubten, die vier Männer hätten Englisch gesprochen.”
„Na wunderbar! Russische Chinesen die Englisch reden. Und davon gleich ein halbes Dutzend. Das Übliche. Kann einem der Täter auf den Kopf fallen, fünf Minuten später weiß keiner mehr, ob er schwarz, weiß oder gelb war. Wenigstens wissen wir, dass sie Frau ...?“
„Liepa.“
„Dass sie, Frau Liepa, es nicht selbst waren, die hier alles umgepflügt hat. Was suchten die hier?”
„Ich habe keine Ahnung.“
Laima sah, dass ihr Rucksack immer noch an der gleichen Stelle lehnte. Nur war er offen. Der Ermittler folgte ihrem Blick. Ihr Handy klingelte.
„Papa, du, es ist gerade ganz schlecht. Bei Mama ist eingebrochen worden. Die Polizei ist in der Wohnung.“
Sie sah, wie der Ermittler zu ihrem Rucksack ging.
„Mama ist im Krankenhaus“, sagte ihr Vater am andren Ende der Leitung.
„Ja, weiß ich. Arbeiten. Sie musste vorhin weg.“
„Sie liegt im Krankenhaus. Im Koma. Sie hatte einen Unfall.“
„O mein Gott, ich komme sofort.“
Laima verfolgte, wie der Ermittler etwas aus ihrem Rucksack holte.
„Ich warte hier auf dich“, sagte ihr Vater.
Sie legte auf.
„Probleme“, sagte der Ermittler und kam zu ihr zurück.
„Hm, ja.“ Laima konnte keinen klaren Gedanken fassen.
„Das war keine Frage“, sagte er und hielt einen verschweißten Plastikbeutel hoch, in dem sich ein weißes Pulver befand.
„Haben sie das schon mal gesehen?“
Sie starrte ihn an. Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden lag plötzlich auf ihr.
„Wissen sie, was das ist?“, fragte er und warf ihr den Beutel zu.
Sie fing ihn auf.
„Keine Ahnung.“
„Könnte es sein, dass die Männer diesen Beutel gesucht haben?“
Alle verfolgten ohne eine Bewegung, was sich zwischen den beiden abspielte. Laima sah aus dem Augenwinkel, dass einer der Polizisten langsam das Holster seiner Pistole öffnete.
„Ich habe das noch nie gesehen. Glauben sie mir! Da sind keine Fingerabdrücke von mir drauf.“
„Jetzt schon!“, sagte er.
Laima begriff die Aussichtslosigkeit ihrer Lage. Der Druckknopf des Holsters schnappte auf. Im nächsten Augenblick sprang sie zur Küche und glitt über das Fensterbrett nach draußen. Hinter ihr brach ein Orkan los. Schreie. Stolpern.
Laima stand auf der Wehrmauer. Unter ihr gute vier Meter bis zum Kopfsteinpflaster.
„Stehenbleiben!“, schrie jemand aus der Wohnung.
Sie sprang auf ein Sonnenzelt, das zu einem der Restaurants unter ihr gehörte. Gäste schrien auf. Sie rutschte und fiel noch etwa zwei Meter.
„Stehenbleiben!“
Der Polizist stand jetzt mit der Waffe über ihr auf der Mauer. Sie lief zwischen zwei Touristen hindurch. Er würde es nicht riskieren zu schießen. Die Tauben flatterten erschreckt auf, als sie am Flötenspieler vorbeirannte. Sie hörte, wie der Polizist auf dem Kopfsteinpflaster landete und vor Schmerz aufschrie.
Rechts? Links? Links an der Johanneskirche entlang. Verkriechen. Aus der Schussbahn, dachte sie.
Nach wenigen Metern schlug sie sich in den hinteren Eingang der Kirche. Sie lief noch einige Schritte und warf sich zwischen zwei Bänke. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie glaubte, ihr Puls hallte in der ganzen Kirche wider. Sie bekam kaum Luft.
Ein Blick über die Reihen. Da!
Draußen am Vordereingang humpelte der Polizist vorbei. Er wurde langsamer. Dann blieb er stehen. Ein zweiter, jüngerer Polizist stieß hinzu. Der Ältere blickte sich langsam um. Sie duckte sich. Hatte er sie gesehen? Laima presste sich flach auf den Boden. Sie hörte Stiefel zwischen den Bänken.
Langsam wurde sie eingekreist. Sie saß in der Falle.
Sie wartete den letzten Augenblick ab. Dann sprang sie aus der Deckung. Sie erschrak, wie nah die zwei Männer ihr waren. In absoluter Panik lief sie über die Lehnen der Bänke. Wie sie das Gleichgewicht hielt, war ihr ein Rätsel. Glücklicherweise ging der humpelnde Polizist in der äußeren Reihe. So konnte sie vor ihm den Ausgang erreichen. Der junge Polizist schaffte es fast, sie einzuholen, als der Korbwagen, den eine Bernsteinverkäuferin schob, ihn in die Hüfte traf, gerade als er die Kirche verlassen wollte.
Laima bog um die Ecke des Pfarrhauses.
Als die beiden angeschlagenen Polizisten die Ecke erreichten, war sie nirgends zu sehen.
Laima war geradewegs in einen Touristenladen gestolpert. Aus dem Fenster sah sie, wie beide ratlos dastanden. Aber ihr war klar,
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