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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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meine Mahlzeit beendet und den Abwasch erledigt hatte,
ging ich in mein Zimmer, begutachtete mein Eigengebräu und holte
mein Luftgewehr heraus. Ich vergewisserte mich, daß ich
genügend Kugeln in meinen Jackentaschen hatte, dann
verließ ich das Haus in Richtung Kaninchenhain auf dem
Festland, zwischen dem breiten Flußarm und dem Müllplatz
der Stadt.
    Ich benutze das Gewehr nicht gern; es ist beinah zu präzise
für mich. Die Schleuder ist etwas Innerliches, sie erfordert,
daß man mit ihr eins wird. Wenn man sich schlecht fühlt,
schießt man daneben; oder wenn man weiß, daß man
etwas Unrechtes tut, schießt man ebenfalls daneben. Wenn man
mit einem Gewehr nicht gerade aus der Hüfte schießt, ist
es etwas Äußerliches; man legt an und zielt, und das ist
alles, es sei denn, das Visier ist beschädigt oder es geht ein
wirklich starker Wind. Wenn man das Gewehr erst einmal geladen hat,
steckt alle Macht darin, die nur darauf wartet, durch ein leichtes
Anwinkeln des Fingers freigesetzt zu werden. Eine Schleuder lebt mit
einem bis zum letzten Moment; sie bleibt angespannt in den
Händen, atmet mit einem, bewegt sich mit einem, bereit
vorzupreschen, bereit zu singen und zu sirren, und sie
läßt einen in einer dramatischen Pose zurück, mit
ausgestreckten Armen und Händen, während man wartet,
daß das fliegende Geschoß auf der Suche nach seinem Ziel
seine dunkle Kurve zieht, und dann das köstliche Plop des
Einschlags hört.
    Aber wenn man hinter Kaninchen her ist, besonders hinter den
gewitzten kleinen Viechern dieser Gegend, muß man sich aller
verfügbaren Hilfsmittel bedienen. Ein Schuß, und sie
flitzten in ihre Löcher. Das Gewehr ist so laut, daß es
ihnen ungeheure Angst einjagt, aber als das souveräne, fast
chirurgische Gerät, das es nun mal ist, erhöht es die
Chance eines tödlichen Erstschlags.
    Soweit ich weiß, ist keiner meiner vom Unglück
verfolgten Verwandten durch ein Gewehr zu Tode gekommen. Sie sind auf
die absonderlichsten Arten dahingeschieden, die Cauldhames und ihre
angeheirateten Anhängsel, aber nach allem, was ich gehört
habe, ist ein Gewehr keinem von ihnen zum Verhängnis
geworden.
    Ich erreichte das Ende der Brücke, wo theoretisch mein
Territorium endet, und blieb eine Weile dort stehen, nachdenkend,
fühlend, lauschend und beobachtend und schnuppernd. Alles schien
in Ordnung zu sein.
    Ganz abgesehen von denen, die ich umgebracht habe (und die waren
ausnahmslos im gleichen Alter wie ich zum Zeitpunkt des Mordes),
fallen mir auf Anhieb mindestens drei Mitglieder unserer Familie ein,
die auf außergewöhnliche Weise zu dem heimkehrten, was sie
für ihren Schöpfer hielten. Leviticus Cauldhame, der
älteste Bruder meines Vaters, wanderte nach Südafrika aus
und kaufte dort im Jahr 1954 eine Farm. Leviticus, ein Mensch von
derart umwerfender Dummheit, daß sich seine geistigen
Fähigkeiten vermutlich durch das Einsetzen der Senilität
gebessert hätten, verließ Schottland, weil es den
Konservativen nicht gelungen war, die sozialistischen Reformen der
vorherigen Regierung rückgängig zu machen: die Eisenbahn
blieb staatlich; die Arbeiterklasse vermehrte sich wie die Fliegen,
nachdem der Wohlfahrtsstaat die natürliche Auslese durch
Siechtum verhinderte; verstaatlichte Bergwerke… nicht zu
ertragen. Ich habe einige der Briefe gelesen, die er an meinen Vater
geschrieben hat. Leviticus war zufrieden mit dem Land, in dem er
lebte, obwohl es ziemlich viele Schwarze gab. Wenn er in seinen
ersten Briefen die Apartheid-Politik erwähnte, nannte er sie
›aparthate‹, bis ihm jemand Aufschluß über die
richtige Schreibweise gegeben haben mußte. Nicht mein Vater,
davon bin ich überzeugt.
    Leviticus spazierte eines Tages nach einem Einkaufsausflug auf dem
Bürgersteig am Polizeihauptquartier von Johannesburg vorbei, als
sich ein geistesgestörter, mörderischer Schwarzer
unbewußt vom obersten Stockwerk herunterstürzte und sich
offensichtlich im Fallen sämtliche Fingernägel
ausriß. Als er aufschlug, traf er meinen unschuldigen,
unseligen Onkel und verletzte ihn tödlich. Seine letzten Worte,
die er im Krankenhaus murmelte, bevor sein Koma zu einem
Schlußpunkt wurde, waren: »Mein Gott, jetzt haben die
Mistkerle das Fliegen gelernt…«
    Dünne Rauchschwaden stiegen vor mir von der Mülldeponie
der Stadt auf. Ich wollte heute eigentlich nicht so weit gehen, doch
ich hörte die Bulldozer, die sie manchmal zum Einebnen des
Abfalls benutzten, kraftvoll schiebend und auf Hochtouren

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