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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Masse
der Menschen ausübt, nicht leugnen können. Die Zeremonie
bestand darin, daß ich Metall-, Gummi- und Plastikteile des
neuen Geräts mit Ohrenschmalz, Rotz, Blut, Urin,
Bauchnabelflusen und Fußkäse beschmierte und die Schleuder
taufte, indem ich mit der gespannten Sehne ohne Geschoß auf
eine flügellose Wespe zielte, die auf der Fassade der Fabrik
herumkrabbelte, und nebenbei zielte ich auf meinen nackten Fuß,
was einen blauen Fleck zur Folge hatte.
    Teile von mir stempelten das Ganze als kompletten Unsinn ab, doch
sie stellten eine winzige Minderheit dar. Der Rest von mir
wußte, daß derartige Dinge funktionierten. Sie
verliehen mir Macht, machten mich zu einem Bestandteil meiner
Besitztümer und meiner Umgebung. Sie geben mir ein gutes
Gefühl.
     
    Ich fand in einem der Alben, die ich auf dem Dachboden
aufbewahrte, eine Fotografie von Paul als Baby, und nach der
Zeremonie schrieb ich den Namen der neuen Schleuder auf die
Rückseite des Bildes, knüllte es um ein Stahlprojektil und
befestigte es mit einem kleinen Stück Klebstreifen, dann
verließ ich den Dachboden, ging hinunter und aus dem Haus,
hinaus in den kühlen Nieselregen eines neuen Tages.
    Ich ging zu dem zusammengebrochenen Teil der alten Schiffsrutsche
an der Nordspitze der Insel. Ich spannte die Gummisehne fast bis zum
äußersten und schickte das Geschoß mit dem Foto weit
hinaus ins Meer. Ich sah nicht, wie es ins Wasser platschte.
    Die Schleuder sollte eigentlich geschützt sein, solange
niemand ihren Namen kannte. Gewiß, das hatte dem Schwarzen
Zerstörer nichts genützt, doch er war umgekommen, weil ich
einen Fehler gemacht hatte, und meine Macht ist so stark, daß,
falls sie einmal fehlschlägt – was selten vorkommt, jedoch
nicht ganz auszuschließen ist –, selbst solche Dinge
verletzbar werden, die ich mit einem großen Schutzbann
ausgestattet habe. Wieder empfand ich in dem Staat in meinem Kopf
Ärger darüber, daß mir ein solcher Fehler unterlaufen
war, und es bildete sich der feste Entschluß, so etwas nie
wieder vorkommen zu lassen. Meine Situation war vergleichbar mit der
eines Generals, der eine Schlacht oder irgendein bedeutendes
Territorium verloren hat und vor ein Kriegsgericht gestellt oder auch
gleich erschossen wird.
    Nun, ich hatte zum Schutz der neuen Schleuder alles in meiner
Macht Stehende getan. Obwohl es mir leid tat, daß der Vorfall
im Kaninchenhain mich eine zuverlässige Waffe, deren Name mit
vielen ehrenvollen Schlachten verbunden war, gekostet hatte (ganz zu
schweigen von der beträchtlichen Summe, die ich aus diesem Grund
dem Verteidigungsetat hatte entnehmen müssen), dachte ich,
daß alles, was geschehen war, so hatte kommen müssen. Der
Teil von mir, der den Fehler mit dem Rammler gemacht hatte, indem ich
zugelassen hatte, daß er mir für kurze Zeit überlegen
war, würde vielleicht noch weiterhin unverdrossen sein Unwesen
treiben, wenn dieser extreme Härtetest ihn nicht entlarvt
hätte. Der unfähige oder fehlgeleitete General war
entlassen worden. Es konnte gut sein, daß Erics Rückkehr
Höchstleistungen von meinen Reaktionen und Kräften
erforderte.
    Es war immer noch ziemlich früh, und obwohl der Nebel und der
Nieselregen mich eigentlich hätten bedrücken müssen,
war ich nach der Taufzeremonie in unverändert guter Laune und
voller Zuversicht.
    Ich hatte Lust auf einen Dauerlauf, deshalb ließ ich meine
Jacke in der Nähe des Pfostens zurück, an dem ich mich an
jenem Tag aufgehalten hatte, als Diggs gekommen war und die Neuigkeit
überbracht hatte; ich klemmte die Schleuder sicher zwischen den
Bund meiner Cordsamthose und den Gürtel. Nachdem ich
überprüft hatte, daß meine Socken gerade und glatt
saßen, zog ich die Schnürsenkel meiner knöchelhohen
Turnschuhe stramm, dann trabte ich langsam zu der Linie aus festem
Sand zwischen den mit Seegras bedeckten Streifen von Ebbe und Flut.
Der Nieselregen setzte immer wieder ein und hörte wieder auf,
und die Sonne war gelegentlich durch den Dunst und die Wolken wie
eine rote, verhangene Scheibe sichtbar. Eine leichte Brise wehte aus
Norden, und ich drehte mich in den Wind. Ich legte allmählich an
Geschwindigkeit zu, verfiel in einen mühelosen, langgestreckten
Laufschritt, der meine Lunge gut durcharbeitete und meine Beine
lockerte. Meine Arme, mit zu Fäusten geballten Händen,
bewegten sich in einem fließenden Rhythmus, während sich
meine Schultern abwechselnd nach vorn schoben. Ich gelangte zu dem
Netz von Nebenarmen des Flusses, das

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