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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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sich über den Sand
ausbreitete, und paßte meine Schritte so an, daß ich die
Kanäle leicht und sauber überspringen konnte, jeweils mit
einem Satz. Als ich das hinter mich gebracht hatte, senkte ich den
Kopf und steigerte die Geschwindigkeit. Mein Kopf und meine
Fäuste rammten sich in die Luft, meine Füße bogen
sich, schlugen aus, stießen sich vom Boden ab und schoben mich
voran.
    Die Luft peitschte mich; kleine Tropfengestöber pieksten
leicht, wenn sie mich trafen. Meine Lungenflügel explodierten,
implodierten, explodierten, implodierten; Klumpen nassen Sandes
flogen von meinen Schuhsohlen, immer höher, je schneller ich
wurde, fielen in kleinen Bogen zu Boden und spritzten auf,
während ich weiterrannte und mich schnell von ihnen entfernte.
Ich hob das Gesicht und legte den Kopf in den Nacken, setzte meinen
Hals dem Wind aus wie ein Liebender, bot mich dem Regen dar. Ich
stieß den Atem keuchend aus der Kehle, und der Anflug von
Übermut, den ich anfangs wegen der übermäßigen
Sauerstoffzufuhr empfunden hatte, ließ nach, je mehr meine
Muskeln den zusätzlichen Schub in meinem Blut in Kraft
umsetzten. Ich legte einen Spurt ein, erhöhte die
Geschwindigkeit, wobei ich den ausgefransten Strandstreifen mit
abgestorbenem Tang und altem Holz und Dosen und Flaschen
aufwühlte; ich kam mir vor wie eine Perle auf einer Schnur, an
einer Leine durch die Luft gezogen, im Sog der Kehle, der Lunge, der
Beine, die andauernde Wucht von fließender Energie. Ich dehnte
den Spurt aus, so lang ich konnte, dann merkte ich, wie meine
Leistung nachließ, ich mich entspannte und schließlich
für eine Weile in einen gemäßigten Laufschritt
zurückfiel.
    Ich jagte über den Sand, die Dünen zu meiner Linken
bewegten sich an mir vorbei wie die Tribüne eines Rennplatzes.
Vor mir sah ich den Bombenkreis, wo ich anhalten oder wenden
würde. Ich erhöhte meine Anstrengung erneut, mit gesenktem
Kopf und mich selbst im stillen anfeuernd, im Geist schreiend, mit
einer Stimme wie eine Presse, deren Schraube sich immer fester
zudreht, um die letzte Leistung aus meinen Beinen herauszuquetschen.
Ich flog über den Sand, den Körper wie wahnsinnig
nach vorn gebeugt, mit berstenden Lungenflügeln, mit stampfenden
Beinen.
    Der Augenblick ging vorüber, und ich verlangsamte meine
Geschwindigkeit allmählich, bis ich schließlich in Trab
verfiel, als ich dem Bombenkreis näher kam. Ich wäre fast
hineingestolpert, dann warf ich mich auf den Sand im Innern des
Kreises und blieb mit allen vieren von mir gestreckt mitten zwischen
den Steinen liegen, japsend, keuchend, um Luft ringend, und blickte
zum Himmel und dem unsichtbaren Nieselregen empor. Meine Brust hob
und senkte sich, mein Herz pochte heftig in seinem Käfig. Ein
dumpfes Dröhnen toste in meinen Ohren, und mein ganzer
Körper prickelte und surrte. Meine Beinmuskeln schienen sich im
Dunst einer zitternden Spannung zu befinden. Ich ließ den Kopf
zu einer Seite fallen und legte die Wange auf den kühlen,
feuchten Sand.
    Ich fragte mich, wie es sich wohl anfühlen mochte zu
sterben.
     
    Der Bombenkreis, das Bein meines Vaters und sein Stock, vielleicht
sein Zögern, mir ein Motorrad zu kaufen, die Kerzen in dem
Totenkopf, die unzähligen toten Mäuse und Hamster – an
alledem ist Agnes schuld, die zweite Frau meines Vaters und meine
Mutter.
    Ich kann mich nicht an meine Mutter erinnern, und wenn ich es
könnte, würde ich sie hassen. Es ist sogar so, daß
ich ihren Namen hasse, die bloße Vorstellung von ihr. Sie war
es, die zuließ, daß die Stoves Eric mit nach Belfast
nahmen, weg von der Insel, weg von allem, was ihm vertraut war. Man
hielt meinen Vater für einen schlechten Erziehenden, denn er
steckte Eric in Mädchenkleider und ließ ihn wild
herumlaufen, und meine Mutter hatte nichts dagegen, daß sie ihn
mitnahmen, weil sie Kinder im allgemeinen und Eric im besonderen
nicht mochte; sie dachte, er würde irgendwie ihrem Karma
schaden. Wahrscheinlich hatte sie diese Abneigung gegen Kinder auch
veranlaßt, mich gleich nach der Geburt zu verlassen und nur zu
jener einen verhängnisvollen Gelegenheit zurückzukehren,
bei der sie zumindest teilweise für meinen kleinen Unfall
verantwortlich war. Im großen und ganzen, denke ich, habe ich
allen Grund, sie zu hassen. Ich lag da in dem Bombenkreis, wo ich
ihren anderen Sohn getötet hatte, und hoffte, daß auch sie
tot war.
    Ich nahm meinen gemächlichen Lauf wieder auf, glühend
vor Energie, und fühlte mich sogar noch besser als am

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