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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Anfang,
als ich mit dem Dauerlauf begonnen hatte. Ich freute mich bereits
aufs Ausgehen heute abend – ein paar Drinks und eine Plauderei
mit Jamie, meinem Freund, und ein paar schnulzige Ohrwürmer in
den ›Cauldhame Arms‹… Ich legte einen ganz kurzen
Spurt ein, nur um während des Laufens den Kopf zu schütteln
und etwas Sand aus dem Haar zu schleudern, dann entspannte ich mich
und ging wieder zum Trab über.
    Die Steine des Bombenkreises machten mich für gewöhnlich
nachdenklich, und auch dieses Mal bildete keine Ausnahme, besonders
in Anbetracht der Art und Weise, wie ich mich in ihn hineingelegt
hatte, wie ein Christus oder so was, dem Himmel geöffnet und vom
Tod träumend. Nun, Pauls Dahinscheiden war so schnell wie nur
irgend möglich vonstatten gegangen; ich war damals zweifellos
sehr human. Blyth hatte ausreichend Zeit, sich darüber
klarzuwerden, was mit ihm geschah, während er schreiend im
Schlangenpark herumhüpfte, weil die aufgebrachte, tobende
Schlange ihn immer wieder in seinen Beinstumpf biß, und die
kleine Esmeralda hatte bestimmt auch noch geahnt, wie es mit ihr
ausgehen würde, während sie langsam vom Wind davongetragen
wurde.
    Mein Bruder Paul war fünf Jahre alt, als ich ihn tötete.
Ich war acht. Es war mehr als zwei Jahre nachdem ich Blyth mit Hilfe
einer Schlange ins Jenseits befördert hatte, als sich mir die
Gelegenheit bot, Paul loszuwerden. Nicht daß ich eine
persönliche Abneigung gegen ihn hegte, ich spürte
lediglich, daß er nicht bleiben konnte. Ich wußte,
daß ich mich niemals von dem Hund befreien könnte, bevor
er verschwunden war (Eric, der arme, wohlmeinende, kluge, doch
unwissende Eric dachte, ich könnte mich niemals davon befreien,
und ich konnte ihm einfach nicht erklären, warum ich
wußte, daß es auf diese Art gelingen würde.)
     
    Paul und ich hatten uns zu einem Strandspaziergang in Richtung
Norden aufgemacht, an einem ruhigen, strahlenden Herbsttag, nachdem
in der Nacht zuvor ein orkanartiger Sturm getobt hatte, der
Schieferplatten vom Dach geweht, einen der Bäume beim alten
Schafpferch entwurzelt und sogar eins der Haltetaue der
Fußgänger-Hängebrücke gekappt hatte. Vater hatte
Eric dazu verdonnert, ihm beim Aufräumen und den Reparaturen zu
helfen, während ich Paul mitnahm, damit wir beide aus dem Weg
waren.
    Ich bin mit Paul immer gut ausgekommen. Vielleicht weil ich im
frühesten Stadium seines Daseins wußte, daß er nicht
lange auf dieser Welt weilen würde, bemühte ich mich, ihm
die Zeit so angenehm wie möglich zu machen, und so kam es,
daß ich ihn entschieden besser behandelte, als die meisten
Jungen ihre jüngeren Brüder behandeln.
    Wir bemerkten gleich, als wir an den Wasserlauf kamen, der die
Insel begrenzte, daß der Sturm eine Menge verändert hatte.
Der Strom war enorm angeschwollen und grub breite Kanäle in den
Sand, riesige schäumende braune Wassermassen fluteten vorbei und
rissen immer wieder Brocken aus dem Ufer und trugen sie mit sich
fort. Wir mußten fast bis an den Ebbestreifen ans Meer
herangehen, bevor wir hindurchwaten konnten. Wir marschierten weiter;
ich führte Paul an der Hand, und kein Arg erfüllte mein
Herz. Paul sang vor sich hin und stellte Fragen, wie es typisch
für Kinder ist, zum Beispiel, warum bei dem Sturm nicht alle
Vögel weggeblasen worden waren und warum sich das Meer nicht bis
obenhin mit Wasser füllte, da doch der Strom so schnell
floß?
    Während wir schweigend über den Sand voranschritten und
nur hie und da stehenblieben, um irgend etwas Interessantes zu
betrachten, das angespült worden war, verschwand der Strand
allmählich. Wo sich der Sand in einer ununterbrochenen Linie aus
Gold bis zum Horizont erstreckt hatte, sahen wir jetzt immer mehr
Steine, je weiter wir an der Küste entlangblickten, bis in der
Ferne die Dünen sich nur noch einem Felsenstreifen
gegenübersahen. Der Sturm hatte während der Nacht allen
Sand weggeweht, angefangen gleich hinter dem Fluß bis zu Orten,
die viel, viel weiter waren als alle, deren Namen ich kannte,
geschweige denn, die ich je gesehen hatte. Es war ein eindrucksvoller
Anblick, der mir zunächst etwas Angst einjagte, einfach weil es
eine so einschneidende Veränderung war und ich fürchtete,
das gleiche könnte irgendwann mit der ganzen Insel geschehen.
Ich erinnerte mich jedoch, daß mein Vater mir erzählt
hatte, solche Dinge hätten sich in der Vergangenheit bereits
öfter ereignet, und jedesmal war der Sand im Laufe der
nächsten Wochen oder Monate

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