Die Wespenfabrik
Leine fliegen. Ich
mußte mich dabei ganz schön anstrengen und kam ins
Schwitzen, selbst bei harmlosem Wind, und meine Hände, die in
dicken Schweißerhandschuhen steckten, wurden heiß. Ich
kam zu dem Schluß, daß der Drachen für meine Zwecke
gut geeignet wäre, und holte ihn ein.
Am Nachmittag desselben Tages, als der gleiche Wind, wenn auch
etwas aufgefrischt, immer noch über die Insel und hinaus auf die
Nordsee wehte, gingen Esmeralda und ich wie gewöhnlich ins Freie
und machten beim Schuppen halt, um den auseinandergenommenen Drachen
zu holen. Sie half mir beim Tragen entlang der Dünen, wobei sie
pflichtbewußt die Leinen und die Winde umklammerte und an ihre
flache kleine Brust drückte, die Leine in der Sperre an der
Trommel eingehakt, bis wir an eine Stelle kamen, die vom Haus aus
unmöglich zu sehen war. Es war ein hoher Dünengipfel, der
in nickender Haltung in Richtung des entfernten Norwegens oder
Dänemarks verharrte, mit Gras, das ihm wie Haar die Stirn
umwehte und ebenfalls in diese Richtung deutete.
Esmeralda pflückte Blumen, während ich den Drachen mit
der angemessenen feierlichen Langsamkeit zusammenbaute. Ich erinnere
mich, daß sie mit den Blumen sprach, als ob sie versuchte, sie
zu überreden, sich zu zeigen, um gesammelt, gepflückt und
zum Strauß gebunden zu werden. Der Wind wehte ihr das blonde
Haar um die Stirn, während sie dahinschritt, sich niederkauerte,
weiterkroch und vor sich hin sprach, und ich mit Zusammenbauen
beschäftigt war.
Schließlich war der Drachen fertig, mit allem Zubehör
versehen und im Gras liegend wie ein eingestürztes Zelt,
Grün auf Grün. Der Wind strich darüber hin und
ließ ihn flattern – mit kleinen peitschenden
Geräuschen, bei denen er wie lebendig wirkte und sich das
Hundegesicht grimmig verzog. Ich sortierte die orangefarbenen
Nylonleinen und brachte die Verschnürung an, indem ich eine
Leine nach der anderen entwirrte, einen Knoten nach dem anderen
löste.
Ich rief Esmeralda zu mir herüber. Sie hielt einen
Strauß winziger Blumen in der Faust, und ich wartete geduldig,
während sie mir jede einzelne beschrieb, wobei sie eigene Namen
erfand, wenn sie die richtigen vergessen oder nie gekannt hatte. Ich
nahm das Gänseblümchen entgegen, das sie mir anmutig
darbot, und steckte es in das Knopfloch der linken Brusttasche meiner
Jacke. Ich erklärte ihr, daß ich mit dem Zusammenbauen des
neuen Drachens fertig wäre und daß sie mir dabei helfen
könnte, ihn im Wind auszuprobieren. Sie war Feuer und Flamme und
wollte die Leinen halten. Ich versprach ihr, daß sie eine
Chance bekäme, obwohl ich natürlich die Oberaufsicht
führen würde. Gleichzeitig wollte sie ihre Blumen halten,
und ich sagte ihr, daß auch das vielleicht sogar möglich
sei.
Esmeralda brach in begeisterte Oh- und Ah-Rufe aus, so sehr
imponierten ihr die Größe des Drachens und der feurige
Hund, der draufgemalt war. Der Drachen lag auf dem windzerzausten
Gras wie die Decke auf einem ungeduldigen Rennpferd, wellenschlagend.
Ich fand die Hauptsteuerleinen und reichte sie Esmeralda, wobei ich
ihr zeigte, wo und wie sie sie zu halten hatte. Ich machte Schlaufen,
die um ihr Handgelenk paßten, damit die Leinen, so
erklärte ich ihr, ihr nicht aus dem Griff rutschten. Sie fuhr
mit den Händen in das verknüpfte Nylon, hielt eine Leine
straff und umfaßte das bunte Blumensträußchen und
die zweite Leine mit der anderen Hand. Ich sortierte meinen Satz
Kontrolleinen und trug ihn in einer Schlinge zurück zu dem
Drachen. Esmeralda hüpfte auf und ab und bat mich, schnell zu
machen und den Drachen endlich fliegen zu lassen. Ich blickte mich
noch ein letztes Mal um, dann brauchte ich nur noch der oberen Ecke
des Drachen einen kleinen Stoß zu versetzen, damit der Wind ihn
packte und er sich erhob. Ich rannte zurück hinter meine
Cousine, während sich das schlaffe Stück Leine zwischen ihr
und dem schnell steigenden Drachen straffte.
Der Drachen schnellte in den Himmel wie etwas Wildes und zog
seinen Schwanz mit einem Geräusch nach sich, der an das
Zerreißen von Pappe erinnerte. Er schüttelte sich mit
lautem Knallen. Sein Schwanz schlängelte sich durch die Luft,
und sein hohles Knochengerüst bog sich. Ich stellte mich hinter
Esmeralda und hielt die Leinen direkt hinter ihren sommersprossigen
Ellbogen, in Erwartung des Rucks. Die Leinen wurden immer straffer,
und der heftige Ruck kam. Ich mußte meine Absätze in den
Boden graben, um nicht von den Füßen gerissen zu werden.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher