Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
Vom Netzwerk:
Kneipe, wie es oft geschieht, noch mit ihrem
Sohn bei ihr zu Hause aufkreuze. Sie ist nicht allzu unfreundlich,
obwohl sie vorgibt, mich mehr zu mögen, als sie es meines
Wissens in Wirklichkeit tut.
    »Ach, mein Junge, du siehst nicht besonders gut aus. Hier,
nimm Platz, ich setze Teewasser auf. Ach, du kleines
Lämmchen.« Ich wurde in einen Sessel im Wohnzimmer eines
Reihenhäuschens des sozialen Wohnungsbaus gesetzt, während
Jamie unsere Jacken aufhängte. Ich hörte, wie er im Flur
herumhüpfte.
    »Danke«, krähte ich mit trockener Kehle.
    »Wird schon wieder, mein Kleiner. Sag mal, soll ich das Feuer
für dich anmachen? Frierst du?«
    Ich schüttelte den Kopf, und sie lächelte und nickte und
klopfte mir auf die Schulter und watschelte in die Küche davon.
Jamie kam herein und setzte sich dicht neben meinem Sessel auf die
Couch. Er sah mich an und grinste und schüttelte den Kopf.
    »Was für ’n Zustand! Was für ’n Zustand!« Er klatschte in die Hände und schaukelte
auf der Couch nach vorn, wobei er die Füße waagerecht von
sich gestreckt hielt. Ich verdrehte die Augen und sah weg. »Mach
dir nichts draus, Frankie, mein Junge. Ein paar Tassen Tee, und dir
geht’s wieder gut.«
    »Hm«, brachte ich heraus und zitterte.
     
    Ich machte mich gegen ein Uhr morgens auf den Heimweg,
einigermaßen nüchtern und vollgepumpt mit Tee. Mein Magen
und meine Kehle fühlten sich fast wieder normal an, obwohl sich
meine Stimme immer noch rauh anhörte. Ich wünschte Jamie
und seiner Mutter eine gute Nacht und marschierte durch die Vororte
der Stadt zu dem Weg, der auf die Insel führte, danach auf
diesem Weg weiter durch die Schwärze, wobei ich hin und wieder
meine kleine Taschenlampe anknipste, um schließlich über
die Brücke zum Haus zu gehen.
    Es war eine stille Wanderung durch die Marsch- und
Dünenlandschaft und über die fleckigen Weiden. Außer
den wenigen Geräuschen, die ich selbst auf dem Weg erzeugte,
hörte ich nichts anderes als das seltene entfernte Dröhnen
eines schweren Lastwagens auf der Straße durch die Stadt.
Wolken bedeckten den größten Teil des Himmels, und der
Mond spendete kaum Licht, vor mir war es vollkommen dunkel.
    Ich erinnerte mich, wie ich einmal im Hochsommer zwei Jahre zuvor,
als ich spät abends nach einem ausgedehnten Spaziergang durch
die Hügel über der Stadt auf diesem Pfad zurückkehrte,
in der sich verdichtenden Nacht merkwürdige Lichter wahrgenommen
hatte, die weit über und jenseits der Insel in der Luft
schwebten. Sie wankten und bewegten sich auf eine unheimliche Weise,
schimmernd und wabernd und glühend, schwer und massiv, wie es
kein in der Luft schwebender Gegenstand normalerweise tat. Ich stand
da und beobachtete sie eine Weile, richtete mein Fernglas auf sie ein
und glaubte dann und wann in den sich bewegenden Bildern aus Licht
Strukturen zu erkennen. Eine Eiseskälte durchfuhr mich
irgendwann, und mein Gehirn war begierig, vernunftmäßig zu
erforschen, was ich um mich herum sah. Ich blickte mich schnell in
der Düsternis um und schaute dann wieder zu jenen weit
entfernten, vollkommen stillen Türmen aus flackernden Flammen.
Sie hingen am Himmel wie Gesichter aus Feuer, die auf die Insel
herabsahen, als ob sie auf etwas warteten.
    Dann überkam mich ein Geistesblitz, und ich wußte
Bescheid.
    Ein Trugbild, Reflexe an verschiedenen Luftschichten draußen
auf dem Meer. Ich beobachtete den Gasschein einer
Ölförderanlage, die mehrere hundert Kilometer weit entfernt
war, draußen in der Nordsee. Als ich die verschwommenen Formen
um die Flammen erneut betrachtete, erschienen sie mir als nichts
anderes mehr denn als Bohrtürme, die an ihren eigenen Gasfackeln
undeutlich zu erkennen waren. Danach ging ich glücklich meiner
Wege – in der Tat glücklicher als zu der Zeit, bevor ich
diese sonderbare Erscheinung gesehen hatte –, und mir kam der
Gedanke, daß ein Mensch mit weniger logischem Denkvermögen
und weniger Fantasie bereitwillig zu der Schlußfolgerung
gekommen wäre, ein UFO gesehen zu haben.
     
    Allmählich gelangte ich auf die Insel. Das Haus war dunkel.
Ich stand da und betrachtete es in der Dunkelheit; dumpf drang mir
seine Massigkeit im schwachen Licht des gebrochenen Mondes ins
Bewußtsein, und ich hatte den Eindruck, daß es noch
größer aussah, als es in Wirklichkeit war, wie der Kopf
eines steinernen Riesen, ein gewaltiger mondbeschienener
Totenschädel voller Formen und Erinnerungen, der hinausstarrte
aufs Meer und mit einem mächtigen

Weitere Kostenlose Bücher