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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Körper verbunden war, der
wiederum im Felsen und Sand des Bodens begraben war, bereit, sich
freizuschütteln und auf einen unhörbaren Befehl oder ein
Stichwort hin selbst aufzulösen.
    Das Haus starrte aufs Meer hinaus, in die Nacht, und ich ging
hinein.

 
5
EIN BLUMENSTRAUSS
     
     
    Ich habe die kleine Esmeralda umgebracht, weil ich das Gefühl
hatte, ich schuldete das sowohl mir selbst als auch der Welt im
allgemeinen. Schließlich hatte ich zwei männliche Kinder
auf dem Gewissen und hatte somit der weiblichen Bevölkerung
einen statistischen Gefallen getan. Wenn mein Mut wirklich so
groß wie meine Überzeugung war, so redete ich mir ein,
dann müßte ich das Gleichgewicht wenigstens
einigermaßen wiederherstellen. Meine Cousine war vermutlich das
leichteste und nächstliegende Opfer.
    Wieder muß ich sagen, daß ich absolut nichts
persönlich gegen sie hatte. Kinder sind keine richtigen Leute,
in dem Sinne, daß sie nicht kleine Frauen und Männer sind,
sondern eine eigene Spezies, die sich zur gegebenen Zeit (sehr
wahrscheinlich) zu dem einen oder anderen entwickeln. Vor allem
kleinere Kinder, bevor der verhängnisvolle und schlechte
Einfluß der Gesellschaft und ihrer Eltern so richtig auf sie
einwirken kann, sind geschlechtslos und nach allen Seiten hin offen
und deshalb ungeheuer liebenswert. Ich mochte Esmeralda (auch wenn
ich ihren Namen ein wenig überspannt fand) und spielte
während ihres längeren Aufenthalts viel mit ihr. Sie war
die Tochter von Harmsworth und Morag Stove, meines Halbonkels und
meiner Halbtante aufgrund der ersten Ehe meines Vaters; das war das
Ehepaar, das sich zwischen Erics drittem und fünftem Lebensjahr
um ihn gekümmert hatte. Manchmal kamen sie uns besuchen und
blieben den ganzen Sommer; mein Vater verstand sich ganz gut mit
Harmsworth, und weil ich mich mit Esmeralda beschäftigte,
konnten sie hier einen angenehmen, erholsamen Urlaub genießen.
Ich glaube, Mrs. Stove hatte in jenem bestimmten Sommer einige
Bedenken, mir ihre Tochter anzuvertrauen, da es der erste war,
nachdem ich den kleinen Paul in der Blüte seiner Kindheit ins
Jenseits befördert hatte, aber im Alter von neun Jahren war ich
ein offensichtlich glückliches und gut angepaßtes Kind,
verantwortungsvoll und wohlerzogen und, wenn die Sprache
zufällig darauf kam, voll tiefempfundener Trauer wegen des
Dahinscheidens meines Bruders. Ich bin überzeugt davon,
daß es nur meinem wahrhaft unbelasteten Gewissen zu verdanken
war, daß ich die Erwachsenen ringsum glauben machen konnte, ich
sei vollkommen unschuldig. Ich scheute sogar vor einem Übergag
nicht zurück, indem ich mir in Maßen ungerechtfertigterweise Selbstvorwürfe machte, so
daß die Erwachsenen auf mich einredeten, daß ich
keinerlei Schuldgefühle zu haben brauchte, weil ich nicht in der
Lage gewesen war, den kleinen Paul rechtzeitig zu warnen. Es war eine
geniale Leistung.
    Ich hatte den Entschluß zu Esmeraldas Ermordung
gefaßt, noch bevor sie und ihre Eltern eintrafen, um ihre
Ferien bei uns zu verbringen. Eric war unterwegs auf einer
Schulfahrt, so daß nur ich und sie hier sein würden. Es
würde etwas riskant sein, so kurz nach Pauls Tod, aber ich
mußte einfach etwas tun, um das Gleichgewicht wieder
einigermaßen herzustellen. Ich spürte es in den
Eingeweiden, in den Knochen; es mußte einfach sein. Es
war wie ein Stich, etwas, dem ich nichts entgegenzusetzen hatte, wie
wenn ich auf dem Pflaster von Porteneil daherspaziere und mir
zufällig einen Absatz an einem Pflasterstein losreiße.
Dann muß ich den anderen Absatz ebenfalls
abreißen, in der Hoffnung, daß er möglichst das
gleiche Gewicht wie der erste haben möge, um mich wieder gut zu
fühlen. Das gleiche gilt, wenn ich mir einen Arm an einer Wand
oder einem Laternenpfahl aufschürfe; ich muß mir dann den
anderen ebenfalls aufschürfen, und zwar sehr bald, oder ihn
zumindest mit der anderen Hand aufkratzen. Es gibt viele Bereiche
dieser Art, in denen ich das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten
versuche, obwohl ich keine Ahnung habe, warum ich das tue. Ich
mußte irgendeine Frau aus dem Weg räumen, um den
Zeiger in die andere Richtung ausschlagen zu lassen.
    Ich hatte in diesem Jahr mit dem Basteln von Drachen begonnen. Es
war 1973, schätze ich. Ich verwendete viele Materialien für
ihre Herstellung: Rohrstöcke und Dübel und
Kleiderbügel aus Metall und Zeltstangen aus Aluminium und
Schrankauslegware aus Papier und Plastik und Müllbeutel und
Leintücher und Saiten und

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