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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Himmels entgegen, fühlte die
feuchte Brise, hörte das Plätschern der entfernten,
zurückweichenden Wellen; es herrschte Ebbe. Irgendwo blökte
ein Schaf.
    Ich mußte es mit dem Alten Saul versuchen, ich mußte
alle Möglichkeiten ausschöpfen, mit meinem verrückten,
wahnsinnigen Bruder in Kontakt zu kommen, bevor all diese vielen
Feuer zusammenträfen und Eric hinwegfegten oder mein Leben auf
der Insel hinwegfegten. Ich versuchte mir einzureden, daß
vielleicht alles gar nicht so schlimm war, doch ich spürte in
den Knochen, daß es so war, die Fabrik lügt nie, und in
diesem Fall war sie verhältnismäßig eindeutig
gewesen. Ich machte mir Sorgen.
     
    Im Bunker, wo der Sarg der Wespe vor dem Schädel des Alten
Saul ruhte und das Licht durch die Höhlen seiner längst
ausgetrockneten Augen fiel, kniete ich mit gesenktem Kopf in der
ätzenden Dunkelheit vor dem Altar. Ich dachte an Eric; ich
erinnerte mich an ihn, wie er war, bevor ihm sein Mißgeschick
zustieß, als er, obwohl er von der Insel weg war, immer noch
Teil von ihr war. Ich erinnerte mich an ihn als den aufgeweckten,
liebenswürdigen, begeisterungsfähigen Jungen, der er immer
gewesen war, und ich dachte daran, was er jetzt war: eine Macht des
Feuers und der Verwüstung, der sich dem Strand der Insel wie ein
geisteskranker Engel näherte, während in seinem Kopf
Schreie des Wahnsinns und der Selbsttäuschung widerhallten.
    Ich beugte mich vor und legte die rechte Handfläche auf die
Hirnschale des alten Hundes, immer noch mit geschlossenen Augen. Die
Kerze brannte noch nicht lange, und der Knochen war nur leicht
angewärmt. Ein unangenehmer, zynischer Teil von mir ließ
mich wissen, daß ich wie Mr. Spock vom Raumschiff Enterprise aussah, mit einer Gehirnverschmelzung oder etwas Ähnlichem
beschäftigt, aber ich ignorierte es; es kam sowieso nicht darauf
an. Ich atmete tief durch, dachte noch tiefer nach. Erics Gesicht
schwebte vor mir herum, Sommersprossen und sandfarbenes Haar und ein
beflissenes Lächeln. Ein junges Gesicht, dünn und
intelligent und jung, so wie ich an ihn dachte, wenn ich ihn
glücklich in Erinnerung hatte, während unserer gemeinsamen
Sommer auf der Insel.
    Ich konzentrierte mich, drückte auf meine Eingeweide und
hielt die Luft an, als ob ich Verstopfung hätte und den Kot aus
mir herausdrücken wollte; das Blut dröhnte mir in den
Ohren. Meine zweite Hand benutzte ich dazu, mir mit Zeigefinger und
Daumen die Augen in den Schädel zu drücken, während
meine andere Hand auf dem Schädel des Alten Saul immer
heißer wurde. Ich sah Lichter, willkürliche Muster wie
verstreute Wellen oder riesige Fingerabdrücke, die Strudel
bildeten.
    Ich spürte, wie sich mein Magen unweigerlich zusammenzog und
eine Welle von etwas aus ihm hochschwappte, das sich wie
leidenschaftliche Erregung anfühlte. Das lag nur an den
Drüsen und körpereigenen Säuren, redete ich mir ein,
doch ich spürte, wie es mich fortbewegte, von einem Schädel
durch einen anderen zu noch einem anderen. Eric! Ich kam durch! Ich
spürte ihn, spürte seine schmerzenden Füße, die
Blasen an den Sohlen, die zitternden Beine, die
schweißfeuchten, dreckigen Hände, die juckende,
ungewaschene Kopfhaut, ich roch ihn, als ob ich selbst es wäre,
ich sah mit seinen Augen, die kaum jemals geschlossen wurden und in
dem Schädel brannten, roh und blutgeädert, vor Trockenheit
blinzelnd. Ich spürte die Reste einer abscheulichen Mahlzeit,
die tot in meinem Magen lag, schmeckte verbranntes Fleisch und
Knochen und Fell auf der Zunge; ich war dort! Ich war bei…
    Eine Stichflamme stieß hervor und packte mich. Ich wurde
zurückgeworfen, vom Altar weggeschleudert wie eine weiche
Schrapnelladung und prallte von dem mit Erde bedeckten Betonboden ab,
um an der Wand gegenüber liegenzubleiben, mit brummendem Kopf
und Schmerzen in der rechten Hand. Ich fiel zu einer Seite um und
krümmte mich zusammen.
    Eine Weile lang lag ich schwer atmend da, hielt den Rumpf mit den
Armen umschlungen und schaukelte leicht hin und her, wobei mein Kopf
über den Boden des Bunkers schabte. Meine rechte Hand
fühlte sich an, als hätte sie die Größe und
Farbe eines Boxhandschuhs. Mit jedem trägen Schlag meines
Herzens schickte es einen Schwall von Schmerz meinen Arm hinauf. Ich
verging fast vor Selbstmitleid und richtete mich langsam auf, rieb
mir die Augen und schaukelte immer noch leicht hin und her, so
daß sich meine Knie und mein Kopf ein Stückchen näher
kamen und sich wieder voneinander

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