Die Wespenfabrik
Haus so hoch
war, sonst wäre er womöglich in der Lage gewesen, über
die Leiter aufs Dach zu steigen und durch die schrägen
Dachfenster hineinzusehen. Doch wir beide waren sicher voreinander,
unsere jeweiligen Zitadellen für die vorhersehbare Zukunft
uneinnehmbar.
Zum erstenmal ließ mein Vater mich das Abendessen machen,
und ich machte ein Gemüse-Curry, mit dem wir beide einverstanden
waren, während wir eine Sendung der Fernlehr-Universität
über Geologie ansahen; ich hatte zu diesem Zweck das tragbare
Fernsehgerät in die Küche gebracht. Wenn die Angelegenheit
mit Eric erst einmal erledigt wäre, so beschloß ich,
mußte ich wirklich die Überredungskampagne weiter
betreiben, damit mein Vater endlich einen Videorecorder kaufte.
Es konnte so leicht geschehen, daß man irgendwann mal eine
gute Sendung verpaßte.
Nachdem wir gegessen hatten, ging mein Vater in die Stadt. Das war
ungewöhnlich, aber ich fragte ihn nicht nach dem Grund. Er sah
müde aus nach all den Leistungen im Klettern und Recken, die er
den ganzen Tag über vollbracht hatte, dennoch ging er in sein
Zimmer hinauf, zog sich seine Stadtkleidung an und kam humpelnd
zurück ins Wohnzimmer, um mir auf Wiedersehen zu sagen.
»Ich bin jetzt dann weg«, sagte er. Er sah sich im
Zimmer um, als ob er nach Hinweisen suchte, daß ich bereits mit
irgendwelchem Unfug begonnen hätte, noch bevor er überhaupt
weg war. Ich wandte den Blick nicht vom Fernseher und nickte, ohne
ihn anzusehen.
»Ist gut«, sagte ich.
»Ich komme nicht spät zurück. Du brauchst nicht
abzuschließen.«
»Okay.«
»Kommst du zurecht?«
»Wie? – Ja, klar.« Ich sah ihn an,
verschränkte die Arme und versank tiefer in dem alten
gemütlichen Sessel. Er trat zurück, so daß seine
beiden Füße im Flur standen, während sein
Oberkörper noch ins Wohnzimmer ragte, und nur seine Hand auf der
Türklinke verhinderte, daß er nicht vornüberfiel. Er
nickte erneut, wobei die Mütze auf seinem Kopf einmal nach vorn
und wieder zurück rutschte.
»Gut. Bis dann. Benimm dich ordentlich.«
Ich lächelte und wandte mich wieder dem Bildschirm zu.
»Ja, Dad. Bis dann.«
»Hmmh«, sagte er, und mit einem letzten Blick durchs
Zimmer, als ob er immer noch prüfte, ob irgendwo Silber
verschwunden wäre, schloß er die Tür, und ich
hörte, wie sein Stock durch den Flur klickte und durch die
vordere Tür hinaus. Ich sah ihm nach, wie er sich auf dem Weg
entfernte, blieb eine Weile sitzen, dann ging ich hinauf und
versuchte die Tür zum Arbeitszimmer zu öffnen, die wie
gewöhnlich so fest verschlossen war, daß sie ein Teil der
Wand hätte sein können.
Ich war eingeschlafen. Das Licht draußen nahm ab, eine
entsetzliche amerikanische Kriminalserie lief im Fernsehen, und mein
Kopf schmerzte. Ich blinzelte mit verklebten Augen, gähnte, um
meine Lippen voneinander zu lösen und etwas Luft in meinen
abgestanden schmeckenden Mund zu bekommen. Ich gähnte erneut und
reckte mich, dann erstarrte ich; ich hörte das Telefon
läuten.
Ich sprang mit einem Satz aus dem Sessel, taumelte, wäre fast
hingefallen, dann gelangte ich zur Tür, in den Flur, die Treppen
hinauf und schließlich so schnell ich konnte zum Telefon. Ich
hob den Hörer mit der rechten Hand ab, die weh tat. Ich
drückte ihn fest an mein Ohr.
»Hallo?« sagte ich.
»He, Frankie, Junge, wie geht’s so?« sagte Jamie.
Ich empfand eine Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung.
Ich seufzte.
»Ach, Jamie. Okay. Wie geht’s dir?«
»Ich bin von der Arbeit nach Hause geschickt worden. Heute
morgen habe ich mir einen Balken auf den Fuß fallen lassen, und
jetzt ist er total geschwollen.«
»Nichts allzu Ernstes, hoffe ich.«
»Nö. Wenn ich Glück habe, brauche ich den Rest der
Woche nicht mehr zu arbeiten. Morgen gehe ich zum Arzt, um mich
krankschreiben zu lassen. Ich dachte nur, ich sag’s dir,
daß ich tagsüber zu Hause bin. Du kannst mir irgendwann
Trauben bringen, wenn du willst.«
»Okay. Ich komme vielleicht morgen vorbei. Aber ich rufe dich
vorher an, damit du Bescheid weißt.«
»Prima. Gibt’s was Neues von
du-weißt-schon-wem?«
»Nö. Ich hatte gedacht, daß es vielleicht er
gewesen wäre, der da anruft.«
»Tja, das habe ich mir gedacht, daß du das denkst. Mach
dir keine Sorgen. Ich habe noch nichts über irgendwelche
sonderbaren Vorfälle in der Stadt gehört, also ist er
wahrscheinlich noch nicht hier.«
»Ja, aber ich will ihn wiedersehen. Ich will einfach nicht,
daß er all die Sachen
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