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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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ich bin, und ich kenne meine
Grenzen. Ich beschränke meinen Horizont aus meinen ganz
persönlichen Gründen: Angst – o ja, ich gebe es zu
– und das Bedürfnis nach Geborgenheit und Sicherheit in
einer Welt, die mich in so frühem Alter, daß ich keine
echte Gelegenheit gehabt hatte, sie zu mögen, zufällig so
außerordentlich grausam behandelt hat.
    Außerdem war die Sache mit Eric eine Lehre für
mich.
    Eric ging in die Fremde. Eric, mit seiner ganzen Aufgewecktheit,
all seiner Intelligenz und Empfindsamkeit und seinen
vielversprechenden Begabungen, verließ die Insel und versuchte,
seinen Weg zu gehen; er entschied sich für einen Pfad und folgte
ihm. Dieser Pfad führte zur Zerstörung des
größten Teils seiner selbst, verwandelte ihn in eine
völlig andere Person, bei der die Ähnlichkeiten mit dem
gesunden jungen Mann, der er zuvor gewesen war, geradezu
anstößig wirkten.
    Aber er war mein Bruder, und ich liebte ihn auf eine bestimmte
Art. Ich liebte ihn trotz seiner Veränderung auf die gleiche
Weise, so vermute ich, auf die er mich trotz meiner Behinderung
liebte. Ich denke, es war dieses Gefühl, beschützen zu
wollen, das Frauen angeblich für Kinder hegen und das
Männer für Frauen hegen sollen.
    Eric verließ die Insel, als ich noch gar nicht auf der Welt
war, und kehrte nur in den Ferien zurück, doch ich denke,
daß er mit der Seele immer dort war, und als er dann für
ganz zurückkam, ein Jahr nach meinem kleinen Unfall, als mein
Vater der Ansicht war, wir wären nun alt genug, daß er
sich um uns beide kümmern konnte, nahm ich es ihm überhaupt
nicht übel, daß er da war. Im Gegenteil, wir kamen von
Anfang an gut miteinander aus, und ich bin sicher, daß es ihm
peinlich war, wie ich ihm sklavisch folgte und ihn in allem kopierte,
doch da er nun mal Eric war, hatte er ein zu starkes Empfinden
für die Gefühle anderer, um es mir zu sagen und damit zu
riskieren, mich zu verletzen.
    Als er zum Besuch einer Privatschule weggeschickt wurde,
schmachtete ich vor Sehnsucht; als er in den Ferien zurückkam,
jauchzte ich; ich sprang hoch und machte Kapriolen und geriet
völlig außer mich. Sommer um Sommer verbrachten wir auf
der Insel, ließen Drachen steigen, bastelten Modelle aus Holz
und Plastik, Lego und Meccano und allem möglichen herumliegenden
Zeug, das wir fanden, bauten Dämme und konstruierten Hütten
und Gräben. Wir ließen Modellflugzeuge fliegen, segelten
Modelljachten, bauten Sandsegler und riefen Geheimbünde ins
Leben und erfanden Geheimzeichen und -sprachen. Er erzählte mir
Geschichten, die er während des Spazierengehens erfand. Einige
Geschichten stellten wir im Spiel dar: tapfere Soldaten, die in den
Dünen kämpften und gewannen und kämpften und manchmal
starben. Das waren die einzigen Gelegenheiten, bei denen er mich
absichtlich verletzte, wenn seine Geschichten seinen eigenen
Heldentod verlangten und ich es alles zu ernst nahm, wenn er sein
Leben aushauchend im Gras oder auf dem Sand lag, nachdem er gerade
die Brücke oder den Damm oder den feindlichen Konvoi in die Luft
gejagt und mir ganz nebenbei das Leben gerettet hatte. Ich pflegte
dann meine Tränen hinunterzuschlucken und ihn leicht anzustupsen
in dem Versuch, der Geschichte meine eigene Wendung zu geben, was er
nicht zuließ, indem er mir entglitt und starb; er starb zu
oft.
    Wenn er seine Migräneanfälle hatte – die manchmal
tagelang dauerten –, wich ich ihm kaum von der Seite,
höchstens, um kühle Getränke und etwas zu essen in den
verdunkelten Raum im zweiten Stock hinaufzutragen; ich schlich mich
dann hinein, stand still da und zitterte nur manchmal, wenn er
aufstöhnte oder sich auf dem Bett bewegte. Ich fühlte mich
elend, solange er litt, und alles andere verlor seine Bedeutung; die
Spiele und die Geschichten erschienen mir töricht und sinnlos,
und nur das Werfen von Steinen auf Flaschen oder Möwen schien
noch einen Sinn zu haben. Ich ging hinaus, um Möwen zu angeln,
entschlossen, daß ein anderes Wesen als Eric leiden sollte.
Wenn er wieder gesund war, war es für mich, als ob er wieder
ganz neu für die Sommerferien ankäme, und ich war von
ungestümer Freude erfüllt.
    Schließlich jedoch zerrte dieser unbezähmbare
Überschwang an seinen Nerven, wie es bei jedem richtigen Mann
der Fall gewesen wäre, und er zog sich von mir zurück und
wandte sich der Welt draußen zu, mit all ihren verlockenden
Gelegenheiten und schrecklichen Gefahren. Er beschloß, in die
Fußstapfen seines Vaters zu treten

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