Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
Vom Netzwerk:
neben dem Stuhl,
ob dem Kind eine zusätzliche Medikation verschrieben worden war,
doch alles erschien wie immer. Er rückte noch näher hin,
leise singend, den Löffel schwenkend und gegen den Schmerz in
seinem Kopf ankämpfend.
    Dann sah er etwas, wie eine Bewegung, nur eine winzige Bewegung,
kaum sichtbar auf dem kahlgeschorenen Kopf des leicht lächelnden
Kindes. Was immer es war, es war klein und träge. Eric blinzelte
und schüttelte den Kopf, um zu versuchen, die wabernden
Lichtfetzen zu vertreiben, die seine Migräne hervorgerufen
hatte. Er stand auf, wobei er noch immer den Löffel mit der
breiartigen Nahrung in der Hand hielt. Er beugte sich dichter zu der
Schädeldecke des Kindes hinunter, betrachtete sie von ganz nah.
Er konnte nichts sehen, doch er blickte auch unter den Rand der
metallenen Schädelschale, die das Kind trug, glaubte, etwas
darunter zu sehen, und hob sie leicht vom Kopf des Kleinen hoch, um
zu prüfen, ob etwas nicht stimmte.
     
    Ein Handwerker, der im Heizungsraum arbeitete, hörte Eric
schreien und rannte, einen großen Schraubenschlüssel
schwingend, auf die Station; er fand Eric zusammengekrümmt in
einer Ecke am Boden, ein wahnsinniges Geheul ausstoßend, den
Kopf zwischen die Knie geklemmt, halb kniend, halb in
Fötusstellung auf den Fliesen liegend. Der Stuhl, in dem das
Kind gesessen hatte, war umgekippt, und er sowie das angeschnallte
Kind, das immer noch lächelte, lagen ein paar Meter entfernt am
Boden.
    Der Mann aus dem Heizungskeller schüttelte Eric, erhielt
jedoch keine Antwort. Dann blickte er zu dem Kind auf dem Stuhl und
ging hinüber zu ihm, vielleicht um den Stuhl aufzurichten; er
hatte sich ihm auf etwa eineinhalb Meter genähert, als er sich
umdrehte, zur Tür rannte und sich übergab, bevor er dort
ankam. Eine Stationsschwester aus dem Stockwerk darüber fand den
Mann im Gang, wie er immer noch gegen ein trockenes Würgen
ankämpfte, als sie herunterkam, um nachzusehen, was den
ungewöhnlichen Lärm verursacht hatte. Inzwischen hatte Eric
aufgehört zu schreien und war ruhig geworden. Das Kind
lächelte immer noch.
    Die Schwester richtete den Stuhl des Kindes auf. Ob sie ihre
Übelkeit hinunterschluckte oder völlig benommen war, oder
ob sie derart Schlimmes oder gar Schlimmeres schon früher
gesehen hatte und es für sie einfach etwas war, das getan werden
mußte, weiß ich nicht, jedenfalls gelang es ihr
schließlich, die Dinge in den Griff zu bekommen, per Telefon um
Hilfe zu rufen und Eric dabei zu helfen, mit steifen Gliedern die
Ecke zu verlassen. Sie führte ihn zu einem Stuhl, bedeckte den
Kopf des Kindes mit einem Handtuch und redete beruhigend auf den
Arbeiter ein. Sie hatte den Löffel von dem offenen Schädel
des lächelnden Kindes entfernt. Eric hatte ihn dort
hineingesteckt, vielleicht im ersten Augenblick des Wahns von der
Absicht bewegt, das, was er sah, herauszulöffeln.
    Vermutlich waren Fliegen in die Räume der Station gelangt,
während die Klimaanlage defekt gewesen war. Sie hatten sich
unter dem rostfreien Stahl der Schädelschale des Kindes
eingenistet und dort ihre Eier abgelegt. Was Eric sah, als er die
Platte anhob, was er unter dem Gewicht allen menschlichen Leids sah,
irgendwo inmitten der weiten, schlafenden, schwülen, dunklen
Stadt ringsum, was er sah, während sich sein eigener
Schädel spaltete, war ein Nest von sich träge
schlängelnden, fetten Maden, die in ihren gemeinsamen
Verdauungssäften schwammen, während sie das Gehirn des
Kindes verzehrten.
     
    Tatsächlich schien sich Eric von dem Ereignis zu erholen. Er
bekam Beruhigungsmittel, er verbrachte einige Nächte als Patient
im Krankenhaus, dann ruhte er sich einige Tage lang in seinem Raum im
Wohnheim aus. Bevor eine Woche vergangen war, nahm er seine Studien
wieder auf und besuchte die Vorlesungen wie immer. Ein paar Leute
wußten, daß etwas passiert war, und sie merkten,
daß Eric stiller geworden war, aber das war auch alles. Mein
Vater und ich wußten lediglich, daß er eine Zeitlang
wegen einer Migräne den Vorlesungen ferngeblieben war.
    Später erfuhren wir, daß Eric angefangen hatte, viel zu
trinken, daß er Vorlesungen versäumte, bei den falschen
auftauchte, im Schlaf schrie und andere Leute im Wohnheim aufweckte,
Tabletten nahm, bei Examen nicht erschien und sein Praktikum
vernachlässigte. Schließlich war ihm von Seiten der
Universität vorgeschlagen worden, den Rest des Jahres
freizunehmen, weil ihm so viel des Lehrstoffes entgangen war. Eric
war zutiefst

Weitere Kostenlose Bücher