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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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und Arzt zu werden. Er
erklärte mir damals, daß sich nicht viel ändern
würde, er würde immer noch die meiste Zeit des Sommers frei
haben, selbst wenn er in Glasgow bleiben müßte, um im
Krankenhaus zu arbeiten oder andere Ärzte bei ihren Hausbesuchen
zu begleiten; er erklärte mir, daß er immer noch der alte
wäre, wenn wir zusammen wären, doch ich wußte,
daß das nicht wahr war, und ich erkannte, daß im Innern
seines Herzens auch er das wußte. Es sprach aus seinen Augen
und seinen Worten. Er verließ die Insel, verließ
mich.
    Ich konnte ihm keinen Vorwurf machen, auch damals nicht, als es
mich am härtesten traf. Er war Eric, er war mein Bruder, er tat,
was er tun mußte; genau wie der tapfere Soldat starb er
für die Sache – oder für mich. Wie konnte ich an ihm
zweifeln oder ihm Vorwürfe machen, wenn er nicht einmal
ansatzweise auch nur andeutete, daß er an mir zweifelte
oder mir Vorwürfe machte? Mein Gott, all diese Morde, die drei
kleinen Kinder, die getötet wurden, eins durch Brudermord! Und
er konnte einfach keine Ahnung haben, daß ich auch nur bei
einem davon die Hand im Spiel hatte. Das hätte ich gemerkt. Er
hätte mir nicht ins Gesicht sehen können, wenn er einen
Verdacht gehabt hätte; er war unfähig, sich zu
verstellen.
    Also ging er in den Süden, zunächst für ein Jahr,
dann für ein weiteres; dank seiner hervorragenden
Examensergebnisse verschlug es ihn früher dorthin als die
meisten. Im Sommer dazwischen kam er nach Hause, doch er hatte sich
verändert. Er versuchte weiterhin mit mir so umzugehen, wie er
es immer getan hatte, doch ich spürte, daß sein Verhalten
erzwungen war. Er hatte sich von mir entfernt, sein Herz war nicht
mehr auf der Insel. Es war bei seinen Bekannten von der
Universität, bei seinen Studien, die er liebte; vielleicht war
es überall sonst auf der Welt, nur nicht mehr auf der Insel.
Nicht mehr bei mir.
    Wir gingen hinaus, wir ließen Drachen steigen, bauten
Dämme und so weiter, aber es war nicht mehr dasselbe; er war ein
Erwachsener, der sich bemühte, mir Freude zu machen, nicht ein
Junge, der dieselben Freuden mit einem anderen Jungen teilt. Es war
keine schlechte Zeit, und ich war immer noch sehr froh, daß er
da war, aber er war erleichtert, als er nach einer Woche wegfahren
konnte, um mit einigen seiner Studentenfreunde den Rest der Ferien in
Südfrankreich zu verbringen. Ich trauerte wegen des Scheidens
des Freundes und Bruders, den ich gekannt hatte, und schmerzlicher
denn zu irgendeiner anderen Zeit spürte ich meine Verletzung
– dieser Umstand, der, wie ich wußte, mich ein Leben lang
im Stadium der Pubertät halten, mich niemals erwachsen werden
und zum echten Mann reifen lassen würde, mir niemals gestatten
würde, meinen eigenen Weg in der Welt zu gehen.
    Ich streifte dieses Gefühl schnell ab. Ich hatte den
Schädel, ich hatte die Fabrik, und ich hatte die
stellvertretende menschliche Befriedigung, während Eric
draußen in der Welt eine brillante Rolle spielte, daß ich
mich langsam zum unangefochtenen Herrn der Insel und der
Ländereien ringsum machte. Eric schrieb mir Briefe und
berichtete, wie gut er vorankam, er rief an und sprach mit mir und
meinem Vater, und er brachte mich am Telefon zum Lachen, so wie es
ein schlauer Erwachsener schafft, auch wenn man gar nicht will,
daß es geschieht. Er gab mir nie das Gefühl, daß er
mich oder die Insel vollkommen verlassen hatte.
    Dann hatte er jenes unselige Erlebnis, das, ohne daß ich
oder mein Vater etwas davon geahnt hätten, sich zu einer Reihe
von anderen Dingen addierte, und das reichte, um auch die
veränderte Person, die ich kannte, umzubringen. Es führte dazu, daß Eric zurück und hinaus zu etwas anderem
floh: Es entstand eine Mischung aus seinem früheren Ich (jedoch
auf teuflische Weise verkehrt) und einem eher welterfahrenen Mann,
ein gestörter und gefährlicher Erwachsener, gleichzeitig
verwirrt und leidenschaftlich und wahnsinnig. Er erinnerte mich an
ein in viele Teile zerbrochenes Hologramm, wobei das
vollständige Bild auch noch in einer spitzen Scherbe enthalten
ist, gleichzeitig Splitter und Ganzes.
    Es geschah während jenes zweiten Jahres, als er in einem
großen Lehrkrankenhaus Dienst tat. Er hätte zu der Zeit
eigentlich gar nicht dort sein müssen, tief unten im Bauch des
Krankenhauses mit den traurigsten Wracks menschlichen Lebens; er half
in seiner Freizeit dort aus. Später erfuhren mein Vater und ich,
daß Eric Probleme hatte, über die er uns nie

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