Die widerspenstige Lady
Pennyworth. Es ist mein voller Ernst. Darüber würde ich auch nie scherzen. Tatsächlich verwundert es mich, dass Ihnen meine Geschichte nicht längst zugetragen wurde. Sie war lange das saftigste Stück Klatsch, über das man sich in London das Maul zerriss.“
Miss Pennyworths wasserblaue Augen weiteten sich vor Erstaunen.
„Wir meiden die Salons der Hauptstadt“, erklärte Annabell kühl. „Und machen uns auch nichts aus Klatsch.“
Der Blick, den er ihr schenkte, verriet, dass er dies doch sehr zu bezweifeln wagte. „Da darf ich Ihnen gratulieren, Madam. Dessen dürfen sich wohl die wenigsten Menschen rühmen.“
„Wie Sie meinen“, gab sie scharf zurück.
„Doch zurück zu meiner Geschichte.“ Er wandte sich unmittelbar an Miss Pennyworth. „Mein Vater, der verstorbene Sir Rafael Fitzsimmon, hat meine Mutter nie geheiratet.“ Der Gesellschafterin stand der Mund offen. „Oh, ja Sie haben recht gehört. Wäre meine Mutter von Stand gewesen, hätte es natürlich einen ungeheuren Skandal gegeben. Doch sie war hier lediglich die Haushälterin. Derlei geschieht ja immer wieder. Insbesondere wenn die Angestellte hübsch ist. Und das soll meine Mutter gewesen sein, wie man sagt.“
Annabell entfuhr ein kleiner Schrei, was ihn enttäuschte. Angesichts ihrer Rebellion gegen die gesellschaftlichen Spielregeln hatte er von ihr kein Entsetzen erwartet. Ihr offenes Missfallen verärgerte und enttäuschte ihn.
„Aber ich will mich nur aufs Wesentliche beschränken. Nach Waterloo machte man mich zum Baronet. Mein Vater hatte mir bereits den größten Teil seines Vermögens vererbt, insofern ihn Bestimmungen aus den Testamenten seiner Vorfahren nicht daran hinderten. Daher wird mein Halbbruder bei seiner Volljährigkeit den Titel meines Vaters und alles, was unmittelbar damit zusammenhängt, erben. Solange üben seine Mutter und ich gemeinsam die gesetzliche Vormundschaft für ihn aus und verwalten sein Vermögen.“
Angesichts dieser Offenbarungen war Miss Pennyworth erst peinlich berührt errötet und dann erblasst. Die ganze Situation war ihr offensichtlich schrecklich unangenehm. Bleibt nur zu hoffen, dass sie ihre Einstellung zu Dienstboten nun ändert, dachte Hugo. Sehr wahrscheinlich schien es ihm allerdings nicht. Mühsam unterdrückte er seine Wut und damit den Wunsch, diese Gans durch weitere Enthüllungen noch mehr zu schockieren.
„Was wurde aus Ihrer Mutter?“, erkundigte sich Annabell so leise, dass er sie kaum verstand.
Er sah sie an. In ihren dunkelblauen Augen lag so viel echtes Mitgefühl. Vielleicht hatte er ihr eben Unrecht getan. Die Umstände seiner Geburt schienen sie doch nicht abzustoßen, sondern viel eher aufrichtig zu berühren.
Und diese Lippen … Erst am Nachmittag hatte er sie auf den seinen gefühlt … Doch zu kurz, viel zu kurz. Ein bedauerlicher Fehler. Süß hatte der Kuss geschmeckt und ihn ganz bezaubert. Zu gern hätte er sie jetzt berührt. Verdammt, er begehrte sie!
„Sie starb bei meiner Geburt.“
„Das tut mir sehr leid.“
„Ich habe Sie ja nie kennengelernt und konnte sie deshalb gar nicht vermissen“, erwiderte er. „Sir Rafael hat mich sehr geliebt. Anders als viele andere Männer seiner Generation es zu tun pflegen, verbrachte er viel Zeit mit mir.“
„Trotzdem“, flüsterte sie.
Erstaunt bemerkte er, dass Tränen in ihren Wimpern glitzerten. Wieder fragte er sich, wie es ihr gelungen war, die Ehe mit Fenwick-Clyde zu überstehen, wenn schon seine Lebensgeschichte sie derart anrührte. Es war wirklich ein Wunder!
„Doch nun genug von mir.“ Er erhob sich. „Kann ich Sie drei für eine Partie Whist gewinnen?“
Fragend blickte Annabell zu ihrer Gesellschafterin.
Die wirkte begeistert. „Oh, ich liebe Whist und Kartenspiele überhaupt! Auf Annabells Reisen haben wir uns so manchen Abend mit der einen oder anderen Partie vertrieben, nicht wahr? Ich erinnere mich daran, als wir damals mitten …“
„Susan“, unterbrach Lady Fenwick-Clyde streng. „Hier kann sich bestimmt niemand für unsere langweiligen Geschichten erwärmen. Wollen wir also anfangen?“ Entschlossen erhob sie sich, um das Gespräch endgültig zu unterbrechen. Dann ging sie zur Tür.
Hugo lächelte still. Die Dame mochte es also nicht, wenn man über ihr Leben sprach – oder zumindest nicht über den Vorfall, von dem Miss Pennyworth gerade hatte berichten wollen. Nun war seine Neugier natürlich erst recht geweckt. Er würde schon herausbekommen, was sie ihm da
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