Die widerspenstige Lady
ihren Gefühlen für ihn überwältigen lassen und … Ja, was eigentlich? Sich ihm endlich ganz hingeben? Das Herz klopfte ihr schneller in der Brust. Vielleicht …
Das Dinner gestaltete sich eher traurig. Sir Hugo ließ sich ein Tablett in die Bibliothek bringen, und Juliet aß bei den Kindern. Susan und Mr. Tatterly unterhielten sich bei Tisch zwar angeregt, doch Annabell hörte kaum zu. Sie dachte ununterbrochen an ihren Gastgeber.
Nach dem Dessert stand sie sofort auf. „Entschuldigen Sie mich. Ich würde gern nach Sir Hugo sehen.“
„Er hat noch Schmerzen, wie ich höre, aber Jamisons Salbe scheint bereits erste Wirkung zu tun“, sagte Mr. Tatterly und erhob sich höflich.
„Der Arme“, flüsterte Susan. „Er hat die kleine Rosalie so heldenhaft gerettet, obwohl er wusste, dass er sich selbst dabei wahrscheinlich verletzen würde.“
„Ja, so kenne ich ihn“, erklärte Mr. Tatterly. „Er hat noch nie gezögert, wenn sich jemand in Gefahr befand. Ganz gleich, was es ihn selbst kostete.“
Erstaunt blieb Annabell, die bereits auf dem Weg hinaus gewesen war, stehen. „Tatsächlich?“
Er nickte. „Oh, ja, Madam. Deshalb ist er ja überhaupt verwundet worden. Aber darüber spricht er nie.“
„Würden Sie mir die Geschichte berichten?“, bat Annabell.
Der Mann errötete tief. „Bestimmt wäre ihm das nicht recht. Dennoch …“
Annabell kam zurück an den Tisch und setzte sich. „Bitte erzählen Sie“, bat sie dann eifrig.
„Oh, ja“, bettelte auch Susan.
„Gut.“ Mr. Tatterly holte tief Luft. „Es geschah bei Waterloo. Sie wissen ja, dass er dort angeschossen wurde.“ Die beiden Frauen nickten. „Es passierte, während Sir Hugo über Jamison und einige andere Männer wachte. Die Explosion einer Kanonenkugel hatte sie niedergestreckt, und sie waren bewusstlos. Sir Hugo weigerte sich, die Kameraden allein ihrem Schicksal zu überlassen. Aber er war allein und ohne Pferd. Das hatte ihn abgeworfen bei der Detonation und war auf und davon galoppiert. Natürlich konnte er die drei Bewusstlosen nicht gleichzeitig hinter die Linien tragen. Also blieb er bei ihnen, bis Hilfe eintraf. Nach einer Weile ging ihm die Munition aus, und ein Franzose wollte ihn niederschießen. Aber Sir Hugo ist ein wahrer Meister mit dem Säbel. Er setzte den Franzosen außer Gefecht und nahm ihm seine Munition ab.“
„Das ist ja unglaublich“, hauchte Annabell aufgeregt.
„Liebe Güte!“, rief Susan. „Ich habe ihm wirklich lange Unrecht getan.“ Erst jetzt bemerkte sie, was ihr da entfahren war. Eine sanfte Röte stieg ihr in die Wangen. „Nicht dass ich ihn für einen Weichling gehalten hätte. Aber einem solchen Lebemann traut man derartigen Mut doch eher nicht zu.“
„Sir Hugo ist ein sehr tapferer Mann“, erwiderte Mr. Tatterly. „In seiner Gesellschaft sollte sich besser niemand einfallen lassen, einen anderen zu misshandeln. Ob er nur mit einem scharfen Wort auskommt oder die Fäuste gebrauchen muss, er wird für die Gerechtigkeit eintreten.“
Tränen waren Annabell in die Augen gestiegen. Wie falsch hatte sie Hugo doch eingeschätzt. Sie stand erneut auf. „Vielen Dank, Mr. Tatterly. Ihr Bericht war sehr aufschlussreich.“
„Das hatte ich gehofft, Madam“, antwortete er mit einem scheuen Lächeln.
Prüfend betrachtete sie den Verwalter. Hatte er ihr die Geschichte nur erzählt, um ihr zu zeigen, wie sein Herr wirklich war? Es stand wohl zu vermuten.
Freundlich erwiderte sie Mr. Tatterlys Lächeln. „Jetzt möchte ich erst recht nach Sir Hugo sehen.“
„Richten Sie ihm doch bitte unsere besten Genesungswünsche aus“, sagte Susan. „Wir werden uns auch gleich bei ihm einfinden. Bestimmt wird eine Partie Whist ihn aufheitern.“
Annabell beschleunigte ihre Schritte, um ihren Gastgeber auf das bevorstehende Vergnügen vorzubereiten.
8. KAPITEL
Natürlich saß Hugo in seinem Lieblingssessel am Feuer. Das verletzte Bein hatte er auf einen breiten gepolsterten Hocker gelegt.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte Annabell und trat zu ihm.
„Den Umständen entsprechend gut.“
„Wieso riecht es hier nur so entsetzlich?“, wollte sie wissen.
„Das ist Jamisons Salbe.“ Er schnitt ein Gesicht.
„Was um Himmels willen mischt er denn da hinein?“
„Etwas, das man auch einem Pferd auf ein verstauchtes Bein gibt.“
„Sie belieben wohl zu scherzen.“ Schnell zog sie ein Taschentuch aus dem Ärmel und hielt es sich vor die Nase. „Wie grässlich.“
„Jamison glaubt
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