Die widerspenstige Lady
Annabell,
verzeih mir, dass ich mich an dich wende, doch ich muss mich einfach jemandem mitteilen, und Guy würde sich nur schrecklich sorgen. Er hatte von Anfang an solche Angst davor, mich und das Kind zu verlieren.
Annabell verschlug es den Atem. Etwas Furchtbares musste geschehen sein, andernfalls hätte die so besonnene Felicia niemals derartige Zeilen verfasst. Tränen hatten die Tinte der nächsten Wörter verwischt.
Adam ist erkrankt. Der Arzt sagt, es wäre nur Keuchhusten. Doch der Kleine hustet Tag und Nacht und isst kaum noch. Wahrscheinlich benehme ich mich vollkommen lächerlich, aber ich habe schreckliche Angst, dass er es nicht übersteht. Wirklich albern von mir, das weiß ich ja. Dennoch …
Im Rest des Briefes berichtete Felicia davon, wie es den anderen ging. Von Dominics jüngsten Verfehlungen und was für einen wunderbaren Gemahl Guy abgab. Annabell lächelte. Dann schickte die Schwägerin noch die wärmsten Grüße und bat um Antwort.
Gedankenverloren ließ sie das Blatt sinken. Keuchhusten war nichts Ungewöhnliches bei einem kleinen Kind, und der Bruder hatte zweifellos einen der besten Ärzte rufen lassen. Wahrscheinlich behandelte der Mann den Prinzregenten selbst, und was gut genug war für den Prince of Wales, sollte auch dem künftigen Viscount Chillings genügen. Der Brief war vor zwei Tagen abgeschickt worden. Bestimmt ging es dem Kleinen schon wieder besser.
Dennoch tat Felicia ihr leid. Ihre beiden Kinder aus erster Ehe waren ertrunken. Das lag nun einige Jahre zurück. Dennoch würde keine Mutter einen solchen Verlust je überwinden. Und auch Guy hatte Schlimmes hinter sich. Seine erste Frau war bei der Geburt des gemeinsamen Kindes gestorben. Und auch das Baby hatte nicht überlebt. Seufzend blinzelte Annabell. Tränen waren ihr in die Augen gestiegen. Rasch wischte sie sie fort. Sie war sonst nicht so gefühlsduselig.
Die Tür zur Bibliothek wurde geöffnet. Ohne auch nur den Kopf zu heben, wusste sie, dass Sir Hugo hereingekommen war. Sie konnte ihn fast fühlen – außerdem lag ein unverwechselbarer Duft nach Zimt in der Luft.
Sorgfältig faltete sie den Brief zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich wollte gerade gehen.“
„Es stimmt doch etwas nicht mit Ihnen.“ Er stellte sich ihr in den Weg.
Sie wich seinem Blick aus. Wirklich, sie war anscheinend ein offenes Buch für ihn. Seufzend antwortete sie endlich: „Meine Schwägerin Felicia hat mir geschrieben. Ihr kleiner Sohn hat Keuchhusten, und sie macht sich schreckliche Sorgen. Nicht dass es tatsächlich Grund gäbe. Keuchhusten bekommt ja jedes Kind früher oder später. Wahrscheinlich schläft sie nicht genügend unter den Umständen und ist deshalb besonders unausgeglichen.“
„Aber auch Sie wirken bestürzt.“ Er trat an ihre Seite.
„Ich kann es nicht anders sagen. Ihr Brief hat mich sonderbarerweise daran erinnert, wie kurz das Leben sein kann.“ Flüsternd fügte sie hinzu: „Sie hat ihre beiden Kinder aus erster Ehe bei einem Unfall verloren. Das wird Felicia nie vergessen können.“
„Das würde keiner Mutter gelingen.“ Tröstend schloss er Annabell in die Arme und streichelte ihr zärtlich den Rücken. Dann drückte er sie sanft an die Brust. Für einen Augenblick gestattete sie es sich, einfach nur an ihn gelehnt dazustehen, bevor sie ihn wieder fortschob.
„Aber ich bin keine Mutter, sondern nichts als eine dumme Frau, die an Gefühlsduselei leidet. Dabei ist Adam nicht einmal wirklich in Gefahr. Aber Felicia tut mir eben leid.“
„Sie sind mit Sicherheit in keiner Weise albern. Da kenne ich ganz andere Frauen. Vielmehr lassen Sie sich fast stets von Ihrem Verstand leiten anstatt von Ihren Empfindungen. Bestimmt sind Sie nur ein wenig übermüdet.“
Machte er sich jetzt doch über sie lustig? „Wie kommen Sie denn darauf?“
Er zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht, Annabell. Wahrscheinlich, weil ich Sie noch nie so fassungslos erlebt habe.“
„Ich hätte längst mit der Arbeit beginnen müssen“, erklärte sie und trat einen Schritt beiseite, um mehr Abstand zu ihm zu schaffen. „Es gibt viel zu tun, und je eher ich beginne, desto schneller bin ich Ihnen aus dem Weg.“
„Wie Sie meinen.“ Er verneigte sich übertrieben tief.
„Mit solchen Verbeugungen sollten Sie warten, bis es Ihnen wieder besser geht“, mahnte sie ehrlich besorgt. „Was ist eigentlich aus der stinkenden Salbe geworden, die Jamison für Sie angemischt hat?“
„Er rührt gerade
Weitere Kostenlose Bücher