Die widerspenstige Lady
ist in unseren Kreisen nicht ungewöhnlich“, erklärte Annabell.
„Das stimmt“, sagte Elizabeth. „Dennoch ist es mir nicht leicht gefallen. Für mindestens ein Jahr litt ich danach an Schwermut. Ich schwor mir, mich nie wieder in eine solche Lage zu bringen. Nie wieder wollte ich ein Kind auf diese Art verlieren. Deshalb tut es mir auch so unendlich leid, Ihnen das antun zu müssen, Madam. Doch ich werde kein Kind mehr weggeben. Hugo hatte Glück, sein Vater war ein wichtiger Mann, gern gesehen bei Hofe und in den besten Häusern. Niemand hätte es gewagt, ihn oder seinen unehelichen Sohn zu schneiden. Leider besitze ich nicht denselben Einfluss. Außerdem lässt die Gesellschaft einem Mann vieles durchgehen, das für eine Frau den Untergang bedeutete.“ Die letzten Worte hatten einen sehr bitteren Unterton.
Annabell wusste nicht, ob sie Elizabeth Mainwaring nun bedauern oder hassen sollte. „Ist Hugo der Vater Ihres Kindes?“
Tränen glitzerten in Elizabeths Wimpern. „Ich vermag es wirklich nicht zu sagen.“
„Und dennoch haben Sie ihn zu einer Verlobung gezwungen?“ Nur mit Mühe gelang es Annabell, die aufsteigende Wut zu unterdrücken.
„Um meinem Kind einen Namen zu geben.“
„Was ist denn mit Ihrem anderen Liebhaber? Wieso heiraten Sie nicht den?“
Zum ersten Mal schien Elizabeth die Fassung zu verlieren. Fest umklammerten sie das Geländer.
Plötzlich begriff Annabell. „Sie lieben diesen Mann.“
„Ja.“
„Und er erwidert Ihre Gefühle nicht.“
„Leider nein.“
„Es tut mir so leid für Sie“, erklärte Annabell aufrichtig.
Seit sie sich in Hugo verliebt hatte, wusste sie, was es bedeutete, wenn man den Mann des Herzens nicht haben konnte. Noch vor Kurzem hätte sie nicht einmal geahnt, wie schmerzlich dies war. Jetzt allerdings kannte sie Lady Mainwarings Kummer nur zu gut.
„Deshalb weiß er auch nichts von Ihrer Schwangerschaft“, fügte Annabell hinzu.
„Sie haben wieder recht. Er sagte mir von Anfang an, dass eine Heirat für ihn nicht infrage käme“, erklärte Elizabeth. „Er ist schon einmal sehr verletzt worden.“
„Wer nicht?“, fragte Annabell ironisch.
„Wie wahr“, antwortete Elizabeth kaum hörbar. „Aber selbst wenn er seine Meinung änderte und mich wegen des Kindes trotzdem nähme … Ich könnte eine Ehe mit einem Mann, den ich liebe, der meine Gefühle jedoch nicht erwidert, unmöglich ertragen. Dafür fehlt mir die Kraft.“
Annabells Mitgefühl schlug in Abscheu um. Diese Frau hatte sich selbst in diese Lage gebracht, und nun ruinierte sie aus Selbstsucht das Leben zweier anderer Menschen. Dennoch … sie musste sehr verzweifelt sein nach allem, was ihr widerfahren war.
„Werden Sie es Hugo sagen?“, fragte Elizabeth mit zitternder Stimme.
Die Frage stellte sich auch Annabell gerade. Sollte sie aus Elizabeth Mainwarings Kind einen Bastard machen? Selbst wenn ihr dies vielleicht eine Zukunft mit Hugo bescherte? Wenn er ihr nur einmal gesagt hätte, dass er sie liebte … Wahrscheinlich war er am Ende mit Lady Mainwaring ebenso glücklich wie mit ihr. Und sie selbst würde eines Tages über ihr gebrochenes Herz hinwegkommen. Schmerz dauerte nicht ewig, er verlor sich mit der Zeit. Das wusste sie seit dem Tod ihrer Eltern. In den ersten Wochen und Monaten glaubt man, es liege einem ein Fels auf der Brust, der einem die Luft abdrückt. Doch dann wird es langsam besser. Wenn sie heute an die beiden dachte, tat sie es mit Freude und Dankbarkeit. Schließlich würde es ihr eines Tages auch mit Hugo so gehen.
„Nein, das werde ich nicht. Es ist nicht an mir, ihm die Wahrheit zu offenbaren.“
Damit wandte Annabell sich um und ging zurück in den Rosengarten. Sie hatte genug gehört. Morgen würde sie abreisen.
16. KAPITEL
Im Morgengrauen des nächsten Tages nahm Annabell in der Reisekutsche Platz, die sie schon vor einigen Monaten nach Rosemont gebracht hatte. Bald schon würde sie sich nicht mehr fühlen, als hätte man ihr das Herz aus der Brust gerissen. Noch war es allerdings nicht so weit.
„Annabell!“
„Ja, Susan?“ Sie beugte sich vor und sah aus dem Fenster der Kutsche zu der Freundin. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst ruhig weiterschlafen. Wir werden uns schon bald in London wiedersehen.“
„Aber ich mache mir Sorgen um dich“, erwiderte Susan mit gerunzelter Stirn. „Deine Abreise kommt so plötzlich. Bist du auch wirklich nicht krank? Dann wirst du mich brauchen!“
„Nein, es ist alles in Ordnung. Guy
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