Die widerspenstige Lady
Sessel Platz nahm. Fahrig fuhr er sich durch die dunklen Locken. Vielleicht hatte Jamison ja recht?
Annabell kam erst im Dunkeln in London an. Von der Themse war dichter Nebel aufgestiegen und hatte die Reise behindert. Um die Gaslaternen im vornehmen Mayfair bildeten sich im Dunst milchig schimmernde Lichtkegel.
Die Kutsche hielt vor Guys beeindruckender Stadtvilla. Statt darauf zu warten, dass ein Lakai den Wagenschlag öffnen und die Stufen herunterklappen würde, schürzte Annabell den Rock und sprang aus der Kutsche.
Die Eingangstür öffnete sich, und Oswald erschien. „Miss Annabell“, erklärte er mit der ganzen Würde eines englischen Butlers. „Wir hatten Sie gar nicht erwartet.“
Eilig erklomm Annabell die Stufen. „Ich habe mich ganz kurzfristig entschlossen. Guy ist doch sicherlich daheim.“
Oswald trat zur Seite, um sie vorbeizulassen. „Seine Lordschaft und Lady Chillings sind für eine Woche nach Brighton gereist. Seine Königliche Hoheit, der Prince of Wales, bat sie ausdrücklich um ihr Erscheinen.“
In der Eingangshalle angekommen, fühlte Annabell sich sofort wieder daheim. Während ihrer Ehe hatte sie mehr Zeit hier verbracht als im Haus des Gemahls. „Und dem Prinzen schlägt man natürlich nichts ab. Ist Dominic denn da?“
„Ja.“ Es war erstaunlich, wie viel Missbilligung der Mann in eine einzige Silbe zu legen verstand.
„Er treibt es also wieder bunt?“ Annabell knotete die Schleife des Hutbands auf. Dann warf sie den Hut auf einen Tisch. „Ganz wie erwartet.“
In diesem Augenblick war ein lautes Jaulen von der Tür zum Dienstbotentrakt zu vernehmen. Fragend hob Annabell den Blick.
„Mr. Dominics neuster Schützling. Ein Streuner, dessen Vorfahren in keinem Stammbaum verzeichnet sein dürften.“
„Das sieht meinem Bruder ähnlich.“
Zum ersten Mal seit langer Zeit lachte Annabell herzlich. Zumindest kam es ihr vor, als wäre es eine Ewigkeit her. Dabei weilte Lady Mainwaring ja noch gar nicht lange auf Rosemont. Dennoch, es war schön, sich wieder an kleinen Dingen wie der Exzentrik des jüngeren Bruders erfreuen zu können.
„Sprechen Sie von Fitz, Oswald?“
Annabell wandte sich um. Der Bruder stieg gerade die Treppe hinab. Er trug einen schwarzen Frackrock mit passender Hose und einen eleganten Mantel. Wie sie selbst war er groß, schlank und besaß eine schmale Nase. Doch abgesehen von den blauen Augen sahen sie einander sonst nicht ähnlich. Sein Haar war pechschwarz, und der Teint dunkel, weil er so viel Zeit an frischer Luft bei den verschiedensten Sportarten verbrachte.
„Wohin willst du denn so herausgeputzt?“
„Nichts Aufregendes, Bell. Nur zu Almack’s .“ Er deutete ein Gähnen an.
„Himmel, du hast doch gesagt, da würden dich keine zehn Pferde mehr hinbringen?“
Seufzend antwortete er: „Völlig richtig. Aber Miss Lucy wünscht, den altehrwürdigen Ballsaal zu besuchen, also begleite ich sie.“
„Miss Lucy? Doch nicht etwa Lucy Duckworth?“
„Dieselbe.“
Sie runzelte die Stirn. „Guy hat dir doch unmissverständlich klar gemacht, dass du die Gesellschaft der jungen Dame zu meiden hast. Lucy ist noch ein halbes Kind und viel zu unschuldig für einen Kerl wie dich.“
Finster erwiderte er ihren Blick. „Ich lebe nach meinen eigenen Regeln, Schwesterchen, ebenso wie du es tust.“
„Tatsächlich?“ Sie nahm die Schultern zurück. „Und wie darf ich die Bemerkung deuten?“
Statt zu antworten, lenkte er ab: „Hattest du bereits Gelegenheit, meine neuste Errungenschaft kennenzulernen? Fitz!“
Annabell beschlich eine Ahnung … „ Fitz wie in …“
„Ganz genau“, bestätigte er. „Fitzsimmon.“
„Wie kannst du es wagen, einen Hund nach Sir Hugo zu benennen?“
„Oh, der Name drängte sich geradezu auf. Immerhin …“, er setzte den Hut auf, „… haben die beiden viel gemeinsam. Zwei wilde Draufgänger ohne Stammbaum mit einer ausgeprägten Liebe zur Damenwelt.“
„Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, Dominic. Andererseits kann man von dir wohl nichts anderes erwarten.“
Spöttisch machte er einen Kratzfuß. „Falls du mir weitere Vorhaltungen machst wegen Miss Lucy, werde ich nicht müde werden, dich daran zu erinnern, was für ein Frauenheld Fitzsimmon ist – und dass es ebenfalls klug wäre, seine Gesellschaft zu meiden.“
„Ich kann tun und lassen, was mir beliebt“, gab sie verächtlich zurück. „Schließlich bin ich erwachsen und noch dazu Witwe. Lucy hingegen ist
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