Die widerspenstige Lady
ein unschuldiges Schulmädchen.“
„Und ein ganz reizendes obendrein! Leider auch ein gut bewachtes.“ Er schnitt ein Gesicht.
„Ah, spielt ihre ältere Schwester die Anstandsdame?“
„Bedauerlicherweise. Miss Sauertopf. Was immer ich auch tue, es erregt das Missfallen der Dame.“
„Oh, das könntest du ändern, indem du aufhörtest, Lucy den Hof zu machen.“
„Nur würde das wiederum mir missfallen.“
Verzweifelt schüttelte Annabell den Kopf. „Ganz der Alte. Hör mir zu, Dominic, ich fürchte, das alles wird dir eines Tages noch sehr leid tun.“
Er ging an ihr vorüber und fragte über die Schulter: „Glaubst du? Dann wollen wir hoffen, dass es vorher wenigstens aufregend wird.“ Damit eilte er hinaus zu seiner wartenden Karriole.
Besorgt sah Annabell ihm nach. Dominic war ein schlimmer Draufgänger und Tunichtgut. Dennoch liebte sie ihn. Trotz seines Benehmens besaß er ein Herz aus Gold – auch wenn er seinen neusten Schützling nach Hugo Fitzsimmon benannt hatte.
Oswald hüstelte diskret. „Verzeihung, Miss Annabell, aber wir müssten Ihr Gepäck nun hinaufbringen. Wohnen Sie in Ihrem üblichen Zimmer?“
„Ja, Oswald, vielen Dank!“ Sie hatte bei ihrem Schlagabtausch mit Dominic vergessen, dass der alte Diener ja jedes Wort mithörte. „Glauben Sie auch, dass Dominic diesmal wirklich zu weit geht?“
„Ich halte es für möglich, Madam. Es scheint fast, als wäre er verhext. Miss Duckworth hat schon mehrfach hier vorgesprochen und ihn gebeten, ihre kleine Schwester Lucy in Ruhe zu lassen.“ Er schüttelte den Kopf.
Hier stimmt doch etwas nicht, dachte Annabell. Aber ganz gleich, wie sehr sie Dominic bestürmen würde, war nicht damit zu rechnen, dass er mit der Wahrheit herausrückte. Nun, im Augenblick hatte sie eigene Sorgen. Trotzdem würde sie ein strenges Auge auf den Bruder haben.
„Die Entdeckung einer weiteren Villa in Kent kurz nach der in Sussex beweist also, dass die Römer an unseren Küsten Landwirtschaft betrieben, ganz wie wir es heute tun“, beendete Annabell ihren Vortrag vor der Surrey Institution.
Es ertönte verhaltener Applaus, und sie stieg die Stufen vom Pult hinab. Morgen würde sie vor der Gesellschaft für Altertumsforschung sprechen.
„Verzeihen Sie, Lady Fenwick-Clyde.“ Ein Herr löste sich aus einer Gruppe, die gerade die erste Reihe verließ. „Wäre es zu vermessen, Ihnen noch einige Fragen stellen zu wollen?“
Ein wenig erstaunt, aber durchaus geschmeichelt blieb sie stehen. Die elegante Kleidung des Herrn verriet den Gentleman.
Sie lächelte. „Ich hoffe nur, ich kann Ihnen überhaupt entsprechend antworten, denn ich habe die Ausgrabungen ja nicht beendet, Mr. …“
Der Fremde erwiderte ihr Lächeln. Er besaß angenehme Züge, einen vielleicht ein wenig schmallippigen Mund, blaue Augen und helles Haar.
„Mein Name ist Daniel Hawks. Und ich bezweifle nicht, dass Sie mir jede nur denkbare Frage beantworten können. Wie ich höre, haben Sie schon an sehr vielen Ausgrabungen mitgearbeitet.“
Neugierig erklärte sie ohne nachzudenken: „Aber wir sind einander doch nie begegnet. Woher wissen Sie das?“
„Ich habe Sie schon einmal vor der Gesellschaft für Altertumsforschung sprechen gehört. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Ihr Wissen in nichts dem Ihrer männlichen Kollegen nachsteht.“
Stolz errötete sie. „Vielen Dank.“
Er deutete eine Verbeugung an. „Sie haben sich das Lob verdient. Doch wonach ich Sie fragen wollte … Haben Sie in der Villa vielleicht Mosaike gefunden, die die Jahreszeiten abbilden? Ich habe nämlich erfahren, dass in einer anderen Villa ganz in der Nähe dergleichen entdeckt wurde.“
„Ah, ja.“ Sie nickte. „Sie meinen Bignor. Ich glaube, die Ausgrabungen dort sind noch nicht abgeschlossen.“
„Richtig. Ich habe Mr. Samuel Lyson’ zweiten Bericht über die Arbeiten dort gehört. Haben Sie Ähnlichkeiten feststellen können?“
„Ein paar. Wie zu erwarten stand, sind die Mosaike aus demselben Material gefertigt. Und auch in Kent wurden einige Zimmer durch Rohre unter dem Fußboden beheizt. Wir haben einen Baderaum freigelegt. Allerdings ergaben sich keine großen Überraschungen.“
Er nickte und notierte eilig, was sie sagte.
„Darf ich fragen, ob sie ebenfalls Altertumsforscher sind?“
„Nur ein Laie“, erklärte er bescheiden.
„Sind wir das nicht eigentlich alle? Nun, Mr. Hawks, ich hoffe, ich konnte Ihnen behilflich sein. Und jetzt muss ich
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