Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
Erklärung, die sein Geheimnis preisgegeben haben würde. Ich versuchte ihn durch ein Telegramm aufzuheitern, und er schickte mir eines als Antwort, in dem er mich anflehte, alles in meinen Kräften Stehende zu tun. Das war das Telegramm, das Sie auf unerklärliche Weise gesehen zu haben scheinen. Ich ließ ihn nicht wissen, wie groß die Gefahr war, denn ich wußte, daß er hier nichts nützen konnte, aber ich teilte dem Vater des Mädchens die Wahrheit mit, und der setzte sich unvernünftigerweise mit Godfrey in Verbindung. Das Ergebnis war, daß er auf der Stelle herkam, in einem Zustand, der an Wahnsinn grenzte, und in diesem Zustand hat er an ihrem Bett gekniet, bis der Tod heute morgen ihrem Leiden ein Ende setzte. Das ist alles, Mr. Holmes, und ich bin sicher, daß ich mich auf Ihre und Ihres Freundes Diskretion verlassen kann.«
Holmes ergriff die Hand des Arztes.
»Kommen Sie, Watson«, sagte er, und wir traten aus dem Haus des Jammers in die bleiche Sonne eines Wintertages.
›Abbey Grange‹
Es war an einem bitterkalten frostigen Morgen im Winter des Jahres ‘97, als ich davon wach wurde, daß mich jemand an der Schulter rüttelte. Es war Holmes. Er stand über mich gebeugt, die Kerze in seiner Hand beschien ein eifriges Gesicht, und auf den ersten Blick wußte ich, daß etwas falsch lief.
»Kommen Sie, Watson, kommen Sie!« rief er. »Das Spiel hat begonnen. Kein Wort! Ziehen Sie sich an und kommen Sie!«
Zehn Minuten später saßen wir in einer Droschke und ratterten durch die stillen Straßen in Richtung Charing Cross-Station. Die erste blasse Winterdämmerung zog herauf; verschwommen, kaum wahrnehmbar im Londoner Dunst, sahen wir hin und wieder die Gestalt eines früh aufgestandenen Arbeiters, wenn wir an ihm vorüberfuhren. Schweigend verkroch sich Holmes in seinen schweren Mantel, und ich tat ein gleiches, denn es war schneidend kalt, und beide hatten wir noch nicht gefrühstückt. Erst als wir auf dem Bahnhof heißen Tee getrunken und den Zug nach Kent bestiegen hatten, waren wir genügend aufgetaut, daß er sprechen und ich zuhören konnte. Holmes zog einen Brief aus der Tasche und las ihn laut vor:
›Abbey Grange‹, Marsham, Kent, 3.30 nachts
Mein lieber Mr. Holmes,
für Ihre sofortige Hilfe in einem dem Anschein nach äußerst bemerkenswerten Fall wäre ich Ihnen sehr dankbar. Die Sache liegt ganz auf Ihrer Linie. Ich werde die Dame befreien, ansonsten aber darauf sehen, daß alles so bleibt, wie ich es vorgefunden habe. Aber ich bitte Sie, keinen Augenblick zu zögern, da es schwierig ist, Sir Eustace hierzubehalten. Ihr ergebener
Stanley Hopkins
»Hopkins hat mich siebenmal zu Hilfe gerufen, und immer waren seine Rufe völlig gerechtfertigt«, sagte Holmes. »Ich nehme an, daß alle seine Fälle den Weg in Ihre Sammlung genommen haben, und ich muß zugeben, Sie beherrschen die Kunst der Auswahl so ziemlich, was für vieles entschädigt, das ich in Ihren Erzählungen beklagenswert finde. Ihre verhängnisvolle Gewohnheit, jedwedes Geschehen unterm Gesichtspunkt einer Geschichte zu betrachten, anstatt es als wissenschaftliche Aufgabe aufzufassen, hat die Möglichkeiten für eine lehrreiche, vielleicht sogar klassische Serie von Demonstrationen verdorben. Sie gehen leicht über eine Arbeit hinweg, die äußerste Raffinesse und Feinheit auszeichnen, um sich auf sensationellen Einzelheiten auszuruhen, die den Leser in Aufregung versetzen können, ihn aber nicht belehren.«
»Warum schreiben Sie denn die Geschichten nicht selbst?« sagte ich ziemlich verbittert.
»Ich werde schreiben, mein lieber Watson, ich werde schreiben. Gegenwärtig bin ich, wie Sie wissen, recht beschäftigt, aber ich hege die Absicht, meine späteren Jahre der Zusammenstellung von Texten zu widmen, durch die die ganze Kunst der Ermittlung in einem Band zusammengefaßt erscheint. Bei unserer jetzigen Untersuchung wird es sich wohl um einen Mord handeln.«
»Sie glauben also, daß dieser Sir Eustace tot ist?«
»Das würde ich sagen. Hopkins’ Handschrift verrät beträchtliche Erregung, und er ist kein Mann der Gefühle. Ja, ich nehme an, da ist Gewalt im Spiel, und die Leiche hat man liegenlassen, damit wir sie besichtigen können. Ein klarer Selbstmord hätte ihn nicht veranlaßt, mich zu rufen. Was die Befreiung der Dame angeht, scheint es, daß sie während der Tragödie in ihrem Zimmer eingeschlossen war. Wir bewegen uns in den höchsten Kreisen, Watson – Pergament,
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