Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
wieder das Bewußtsein, aber wieder können es nur ein paar Minuten gewesen sein, daß ich meiner Sinne nicht mächtig war. Als ich die Augen öffnete, sah ich, sie hatten das Silber aus der Anrichte genommen und eine Flasche Wein geöffnet, die dort stand. Jeder hielt ein Glas in der Hand. Ich habe Ihnen wohl schon gesagt, daß der ältere einen Bart trug, während die beiden jüngeren glattrasiert waren – oder nicht? Jedenfalls hätten sie ein Vater und seine zwei Söhne sein können. Sie unterhielten sich im Flüsterton. Dann kamen sie zu mir und vergewisserten sich, ob ich noch fest angebunden war. Dann verschwanden sie und machten das Fenster hinter sich zu. Es dauerte etwa eine Viertelstunde, ehe es mir gelang, das Taschentuch von meinem Mund zu entfernen. Meine Schreie wurden von der Zofe gehört, und sie kam mir zu Hilfe. Die anderen Diener waren bald alarmiert, wir benachrichtigten die örtliche Polizei, die sich sofort mit London in Verbindung setzte. Das ist alles, meine Herren, was ich Ihnen mitteilen kann, und ich hoffe, es wird nicht nötig sein, daß ich noch einmal die für mich so schmerzliche Geschichte vortragen muß.«
»Gibt es Fragen, Mr. Holmes?« fragte Hopkins.
»Ich möchte Lady Brackenstalls Geduld und Zeit nicht weiter strapazieren«, sagte Holmes. »Aber ehe ich ins Speisezimmer gehe, wäre es mir lieb, wenn Sie mir erzählten, was Sie erlebt haben.« Er sah die Zofe an.
»Mir waren die Männer aufgefallen, noch bevor sie ins Haus kamen«, sagte das Mädchen. »Ich saß in meinem Zimmer am Fenster und sah beim Mondlicht drüben am Tor des Pförtnerhäuschens drei Männer, dachte mir aber nichts dabei. Mehr als eine Stunde später erst hörte ich die Herrin schreien, lief hinunter und fand sie, das arme Schäfchen, wie sie es Ihnen erzählt hat, und den Herrn auf dem Fußboden, und überall Blut und Hirnfetzen. Das hätte gereicht, eine Frau um den Verstand zu bringen – gefesselt zu sein und das Kleid voll vom Blut des eigenen Mannes. Aber es hat ihr nie an Courage gefehlt, der Miss Mary Fraser aus Adelaide, und Lady Brackenstall von ›Abbey Grange‹ hat sich darin nicht geändert. Sie haben sie lange genug ausgefragt, meine Herren, und sie wird jetzt mit ihrer alten Theresa auf ihr Zimmer gehen, um sich auszuruhen, was sie bitter nötig hat.«
Mit mütterlicher Zärtlichkeit legte die hagere Frau den Arm um die Dame und führte sie aus dem Zimmer.
»Sie ist schon seit ihrer Geburt bei ihr«, sagte Hopkins, »hat sie als Baby gepflegt und sie nach England begleitet, als sie vor achtzehn Monaten zum ersten Mal Australien verließen. Sie heißt Theresa Wright und gehört zu der Sorte Bediensteter, die man heute nicht mehr findet. Hier geht’s lang, wenn es beliebt, Mr. Holmes.«
Das geschärfte Interesse war aus Holmes’ ausdrucksvollem Gesicht geschwunden, und ich wußte, daß mit dem Geheimnis auch aller Reiz des Falles dahin war. Nun mußten Verhaftungen vorgenommen werden; aber wer waren schon diese gewöhnlichen Totschläger, daß er sich die Hände an ihnen schmutzig machen sollte? Ein tiefgründiger und erfahrener Facharzt, der sich vor die Tatsache gestellt sieht, daß man ihn wegen eines Falls von Masern gerufen hat, empfände ähnlichen Ärger wie den, den ich in den Augen meines Freundes sah. Aber die Szene im Speisezimmer von ›Abbey Grange‹ wirkte seltsam genug, um seine Aufmerksamkeit zu fesseln und sein schwindendes Interesse zu beleben.
Es war ein sehr großer und hoher Raum mit geschnitzter Eichendecke, eichenem Paneel und einer vortrefflichen Sammlung von Geweihen und alten Waffen an den Wänden. Von der Tür aus am anderen Ende befand sich das französische Fenster, von dem uns erzählt worden war. Drei kleinere Fenster rechter Hand ließen das Licht einer kalten winterlichen Sonne herein. Links sahen wir einen großen, tiefreichenden, von einem mächtigen, vorspringenden Umbau aus Eiche eingefaßten Kamin. Neben dem Kamin stand ein schwerer Eichensessel mit Armlehnen und Querstreben am Sitz. Durch alle offenen Teile des Sessels schlang sich eine rote Schnur, die auf beiden Seiten an der Querstrebe befestigt war. Als man die Lady befreite, hatte man die Schnur von ihr abgestreift, aber die Knoten ungelöst gelassen. Diese Einzelheiten kamen uns erst später ins Bewußtsein, denn unser ganzes Denken wurde völlig von der schrecklich anzusehenden Gestalt gefangengenommen, die ausgestreckt auf dem Tigerfell vorm Kamin lag.
Es
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