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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Abu Dun.
Andrej sah erschrocken zu ihm hoch. Der Nubier wirkte plötzlich
sehr ernst. In seinen Augen war ein Ausdruck erschienen, den Andrej
noch nie zuvor darin erblickt hatte. »Was?«, murmelte er.
Abu Dun lachte leise. »Er musste mit ansehen, wie seine Familie
umgebracht wurde«, sagte er. »Er wurde Zeuge, wie alles zerstört
wurde, was ihm etwas bedeutete. Alle, die er kannte, wurden umgebracht oder in die Sklaverei verschleppt, und ihm selbst stand ein
Schicksal bevor, das ihm schlimmer vorkommen musste als der Tod.
Er konnte gar nicht mehr anders, als alle Menschen zu hassen.«
»Ja«, bestätigte Andrej, doch Abu Dan schüttelte nur heftig den
Kopf.
»Ich spreche nicht von Frederic«, sagte er. Seine Stimme wurde leiser. Die Dunkelheit in seinen Augen nahm zu. Andrej schwieg, bis er
weitersprach.
»Ich war acht Jahre alt, als ägyptische Sklavenhändler mein Dorf
überfallen haben. Sie haben die Häuser niedergebrannt, das Vieh
geschlachtet und die Felder verwüstet. Die Alten und die Kranken
haben sie sofort erschlagen, genau wie alle Kinder unter fünf Jahren
und die Frauen, die nicht schön genug waren, um sie auf dem Sklavenmarkt zu verkaufen. Ich musste mit ansehen, wie sie meinen Vater zu Tode peitschten, nur weil er versucht hat, sich zu wehren und
seine Familie zu verteidigen. Dann haben sie mich gezwungen, dabei
zuzusehen, wie sie meine Mutter vergewaltigten und dann ebenfalls
umbrachten, genau wie meine beiden jüngeren Schwestern. Wer danach noch am Leben war, wurde in Ketten gelegt, und die wenigen,
die den anschließenden Marsch durch die Wüste überlebt haben,
wurden auf dem Sklavenmarkt verkauft. Also erzähl mir nichts von
Schmerz, Hexenmeister.«
»Das… das tut mir Leid«, murmelte Andrej betroffen. »Davon
wusste ich nichts.« In all den Jahren, die er jetzt mit dem nubischen
Riesen zusammen war, hatte Abu Dun niemals von seiner Jugend
erzählt, und Andrej gestand sich voller Schuldbewusstsein ein, dass
er ihn auch niemals danach gefragt hatte.
»Das braucht es nicht, Andrej«, antwortete Abu Dun leise. »Ich
blieb Sklave, bis ich vierzehn war. Dann habe ich meinen Herrn getötet und bin geflohen. Die nächsten drei Jahre habe ich damit zugebracht, den Sklavenhändler zu suchen, der meine Familie umbrachte.«
Andrej sparte sich die Frage, ob er ihn gefunden hatte. »Davon
wusste ich nichts«, sagte er noch einmal.
»Natürlich nicht«, sagte Abu Dun bitter. »Weil du ja glaubst, alles
Leid der Welt für dich gepachtet zu haben. Aber das hast du nicht,
Andrej. Du weißt gar nicht, was Leid bedeutet.«
Er schnitt Andrej mit einer zornigen Geste das Wort ab, als er antworten wollte, und fuhr, mit nun wieder sachlicherer, beherrschter
Stimme fort: »Ich verstehe dich, Andrej. Ich verstehe dich vielleicht
besser, als du ahnst. Trotzdem müssen wir Frederic töten. Wenn du
es nicht kannst, dann tue ich es für dich.«
»Nein«, sagte Andrej fast erschrocken. »Das ist meine Aufgabe.«
»Hast du denn die Kraft dazu?«, fragte Abu Dun. »Ich meine es
ernst. Wenn du ihm gegenüberstehst und es nicht kannst, wird er
vielleicht nicht nur dich töten, sondern auch mich und viele andere.«
Andrej stand auf und ging langsam an Abu Dun vorbei zum Fenster. Die Geschichte, die Abu Dun erzählt hatte, hatte ihn erschüttert
und eine Saite tief in ihm zum Klingen gebracht, von deren Existenz
er bisher nicht einmal etwas geahnt hatte. Vielleicht würde er den
Nubier in Zukunft mit anderen Augen sehen. Dennoch wurde der
Schmerz in ihm nicht geringer. Auch wenn Abu Dun Recht hatte,
und es vielleicht an der Zeit für ihn war zu begreifen, dass auch andere Menschen das Leid kannten, so machte das seinen eigenen
Schmerz doch nicht geringer. Was Abu Dun trotz allem nicht begriff
- und wie konnte er das auch? - war, dass es seine Schuld war.
»Vielleicht hast du sogar Recht«, murmelte er. »Vielleicht ist Frederic wirklich schon böse geboren worden. Aber es gibt viele böse
Menschen auf der Welt, Sklavenhändler. Trotzdem verwandeln sie
sich nicht alle in solche Ungeheuer.«
»Aber du hast ihn doch nicht dazu gemacht«, erwiderte Abu Dun.
»Es war Tepesch!«
»Zu dem ich ihn geführt habe«, gab Andrej müde zurück. »Ich hätte
wissen müssen, was geschieht. Es war meine Schuld. Er hatte keine
Erfahrung damit, was es heißt, eine Seele zu nehmen.«
»Er hat auch vorher schon getötet«, antwortete Abu Dun.
»Nicht so«, beharrte Andrej. Sein Blick tastete über die dunklen
Dächer der Stadt. Er

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