Die Wiederkehr
konnte ihn fühlen. Frederic war dort draußen;
und auch noch etwas anderes. Eine Dunkelheit, die tiefer war als die
Schatten, die sich zwischen den Häusern und in den Winkeln eingenistet hatten, und die allmählich auch in ihn hineinzukriechen begann. »Du würdest doch auch niemanden mit auf die Bärenjagd
nehmen, der zuvor nur Kaninchen getötet hat.«
»Wenn er selbst ein Wolf ist - warum, nicht?«
»Aber er war kein Wolf«, begehrte Andrej auf. »Er war nur ein
Kind! Vielleicht ein böses Kind, aber trotzdem ein Kind!« Mit einem
Ruck hob er die Arme und schlug die flachen Hände mit solcher
Wucht gegen die Scheibe, dass das bemalte Bleiglas klirrte. »Hast du
vergessen, was Breiteneck erzählt hat? Was, wenn er Recht hat?«
»Recht womit?«, fragte Abu Dun.
»Dass es eine Krankheit ist! Dann ist es meine Schuld. Dann habe
ich nicht nur Frederic, sondern der ganzen Stadt den Tod gebracht!«
»Vielleicht war der Tod ja schon da, und du bist nur der Einzige,
der ihm entronnen ist«, gab Abu Dun zu bedenken. Er schnaubte.
»Aber ich verstehe. Du fühlst dich nicht nur schuldig. Du hoffst die
Absolution zu erlangen, wenn du ihn am Leben lässt. Aber das wirst
du nicht. Nicht so!«
Nein, dachte Andrej bitter. Nicht so, und vielleicht auch auf keine
andere Art - niemals. Vielleicht war das die Strafe, die das Schicksal
ihm auferlegt hatte: Dass er dazu verflucht war, bis ans Ende aller
Zeiten über diese Welt zu wandern, ruhelos, unfähig zu sterben und
geliebt zu werden. Ein Dämon, der jedem den Untergang brachte, der
ihm zu nahe kam.
Das Geräusch der sich öffnenden Tür unterbrach ihr Gespräch.
Andrej war nicht unglücklich darüber. Es war Breiteneck. Sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt, und der Ausdruck darin undeutbar.
Andrej überlegte einen Moment lang, ob er vielleicht an der Tür gelauscht und einen Teil ihres Gesprächs gehört hatte. Sie hatten allerdings nicht besonders laut gesprochen, und die Tür war massiv und
verschluckte nahezu jedes Geräusch. Darüber hinaus war Breiteneck
nicht der Mann, der lauschte. Die Härte in seinem Blick musste einen
anderen Grund haben.
Als er näher kam, sah Andrej, dass seine Kleider besudelt waren.
Das, was er im ersten Moment für Schmutz gehalten hatte, mochte in
Wahrheit wohl eher eingetrocknetes Blut sein. Möglicherweise hatte
er an diesem Tag einfach zu viel Leid gesehen.
»Störe ich?«, fragte Breiteneck mit gehöriger Verspätung.
Andrej antwortete nicht, aber Abu Dun grollte: »Ja.«
»Gut«, sagte Breiteneck. Er machte eine Kopfbewegung in Andrejs
Richtung. »Zieht Euer Hemd aus, ich will mir Eure Wunde ansehen.«
»Schon wieder?«, antwortete Andrej. »Ihr habt doch erst heute
Morgen…«
»Und ich hätte es eigentlich auch am Mittag schon wieder tun müssen«, unterbrach ihn Breiteneck unwirsch. »Ihr habt eindeutig mehr
Erfahrung darin, Wunden zuzufügen, als sie auszukurieren, nicht
wahr? Außerdem ist es von Salms Wunsch.«
»Von Salm?«
»Ich bin nur ein kleiner Medicus, dem es nicht zusteht, die Beschlüsse unserer weisen Führer zu hinterfragen«, antwortete Breiteneck sarkastisch. »Aber ich glaube, er will sichergehen, dass Ihr auch
im Vollbesitz Eurer Kräfte seid. Nun zieht endlich Euer Hemd aus.
Ich bin müde und nicht mehr sehr duldsam.«
»Wart Ihr das denn je?«, fragte Andrej lächelnd, begann aber trotzdem die Schnüre seines Hemdes zu öffnen.
Breiteneck machte Andrej ein Zeichen, auch die Verbände abzulegen. Was folgte, war die Andrej schon bekannte Tortur, auch wenn
es diesmal nicht mehr ganz so schmerzte wie zuvor.
»Ihr habt tatsächlich die Wahrheit gesagt«, stieß Andrej zwischen
zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Womit?«
»Als Ihr behauptet habt, kein besonders guter Wundarzt zu sein.«
Breitenecks linke Augenbraue rutschte ein Stück nach oben. Er enthielt sich jeden Kommentars, zupfte und zerrte aber weiterhin an
Andrejs Schulter herum, bis diesem beinahe die Tränen in die Augen
schossen. Dann tat er etwas, was Andrej verblüffte: Er zog ein winziges Fläschchen unter seinem Hemd hervor und goss etwas von seinem Inhalt in eine Schale mit Wasser, in die er die Verbände tauchte,
die er Andrej anlegte. Kaum hatte er es getan, da hörte der pochende
Schmerz auf und machte zuerst einem Prickeln, dann einem durchaus
angenehmen Gefühl von Taubheit Platz.
»Was ist das?«, fragte er.
Breiteneck verkorkte das Fläschchen sorgsam und setzte dazu an, es
unter sein Wams zu schieben, überlegte es sich aber dann anders
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