Die Wiederkehrer
Ich sehnte mich seit zwei Leben danach, aber …“ Bernds Blick tanzte unsicher über Nikos Gesicht, als forsche er nach Ablehnung. „… ich weiß alles über Sex, Drogen, darüber, wie man Menschen verarscht, verführt, kauft und von sich fern hält. Ich kann dir mehr Fragen zu allen möglichen Perversionen der Menschheit beantworten, als du stellen kannst – aber ich weiß nicht, was man … wie …Ich weiß nicht, wie man sich auf andere einlässt.“ Niko steckte einen Finger in Bernds Gürtel, als wolle er ihn daran festhalten und senkte den Blick.
„Du musst es einfach nur tun“, flüsterte er.
„Indem ich dir von der ganzen Scheiße erzähle, die ich endlich los bin, vor der ich mein ganzes Leben weggelaufen bin? Das kann ich nicht, Niko, ich kann das nicht.“
„Weil du Angst hast, dass ich dich dann nicht mehr mag?“, riet Niko und sah Bernd forschend in die Augen.
„Das ist nur
ein
Aspekt“, erklärte Bernd. „Ich könnte dir nicht mehr unter die Augen treten. Du würdest sehen, wie jämmerlich und kaputt ich bin … war … bin … und ich würde das in deinem Blick sehen. Verstehst du?
Jetzt
siehst du in mir deine Hoffnungen und Träume … ich bin eine perfekte Schablone, was das betrifft“, Bernd grinste schief, „Aber wenn ich erst einmal zu erzählen anfange – dann ist da kein Platz mehr dafür, du würdest nur noch das Jammertal sehen, das ich bin. Ich mag es, wie du mich jetzt ansiehst – ich habe Angst davor, wie du mich
dann
ansiehst.“
„Wenn ich eine Schablone will, gehe ich in den Papierfachhandel!“, knurrte Niko. „Und
danke
für dein Vertrauen und deine hohe Meinung von mir. Wenn du denkst, ich würde dich verurteilen dafür, wer du bist – warum willst du dich dann mit mir abgeben?“ Niko riss sich von Bernd los und stürmte ins Wohnzimmer, suchte nun ebenfalls seine Kleider zusammen. Bernd sah ihm dabei zu, gegen den Türrahmen gelehnt, die Arme verschränkt und mit einem betroffenem Gesichtsausdruck.
„Weißt du, Bernd, was auch immer du für Scheiße mitschleppst –
du
konntest mich umarmen als ich weinte,
du
hast mir gezeigt, dass das nicht schlimm ist.
Du
hast mein Geständnis bezüglich meines Suizids angenommen, ohne mich zu verurteilen. Für wie kaputt du dich auch immer hältst – du bist immer noch einer der gesündesten Menschen die ich je kennengelernt habe. Du hast mir erzählt, wie du gestorben bist – und auch wenn ich keine Ahnung habe, was dich so fertig gemacht hat – so kann ich mir dennoch vorstellen, dass da eine Menge Scheiße passiert sein muss. Das ist vermutlich nicht schön anzuhören, aber es interessiert mich, ich will es hören. Der, der du jetzt bist, der, der mich so halten konnte, mich so ansehen kann wie du – der wurde so, wegen all dem, was ihm passiert ist. Ich habe bereits eine halbherzige Beziehung hinter mir, in der man einander nicht kennt, nicht weiß, was einen antreibt, nicht offen und ehrlich ist und sich aus Angst davor, erkannt zu werden, versteckt. Ich vergeude mein zweites Leben nicht auf dieselbe Art – egal ob du ein Mann oder eine Frau bist. Der Sex – das habe ich gelernt – ist nicht ausschlaggebend dafür, wie eine Beziehung sich entwickelt – den kann ich mit
jedem
haben, der irgendwie … geil ausschaut. Aber das da …“, Niko schlug sich gegen die Brust, „… das ist exklusiv. Offenbar bist du
wirklich
der Falsche, jetzt brauch ich mir darüber wenigstens keine Gedanken mehr machen. Viel Spaß noch beim Versteckspielen!“
Niko hatte sich in Rage geredet. Er marschierte zur Wohnungstür, riss sie wütend auf, stürmte auf den Gang und schlug sie hinter sich mit voller Wucht zu. Scheiße. Niko ließ sich gegen die Tür fallen und spürte ein tiefes Schluchzen hochsteigen, dass sich qualvoll aus seiner Kehle würgte.
„Verdammt!“, schrie er auf, schlug mit dem Ellenbogen, dann mit der Ferse so heftig gegen die Tür, dass es fast klang als würde sie zerbrechen, dann stürzte er hoch in seine Wohnung.
Verdammt! Das war so anders gelaufen, als er es sich erhofft hatte. Niko hatte den Mann, den er liebte, weggestoßen, weil er …
stolz
war. Eine Eigenschaft, die ihm bisher gefehlt hatte. Es war ihm stets egal gewesen, was andere Menschen von ihm hielten. Aber nun? Niko war nicht egal, was Bernd in ihm sah. Er wollte so wahrgenommen werden, wie er war, hatte es satt, geschont zu werden oder sich in fremde Vorstellungen zu fügen. Und er hatte es satt, desinteressiert und ohne
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