Die Wiederkehrer
Ahnung von dem Mensch an seiner Seite durchs Leben zu gehen. Wenn Bernd ihm nicht vertrauen konnte, dann wollte Niko ihn nicht. Vielleicht sollte er sich nun doch auf die Suche nach Raffael Hagen machen. Immerhin – diese Motivation hatte er nun.
Scheisskopf
Niko stand vor der Wohnungstür und las das Namensschild:
'Hagen'
. Kein Vorname, aber er wusste, dass hier ein Raffael Hagen wohnte, der zweiundzwanzig war. Die letzten drei Tage hatte sich Niko in die Arbeit gestürzt, den Balkon gemieden und das Telefonbuch durchgeackert. Es gab darin nur zwei Männer, die Raffael Hagen hießen – einer davon war der alte Kauz aus dem Schwimmbad, der andere dessen Sohn, fünfzig und genauso unhöflich wie sein Vater. Niko war dann dazu übergegangen, alle anderen Leute anzurufen, deren Nachname Hagen lautete – vielleicht war der, den er suchte, nicht im Telefonverzeichnis, hatte aber Verwandte, über die Niko ihn finden konnte.
Bei der Recherche war er auch auf diese Mutter mit dem Jungen aus dem Schwimmbad gestoßen. Es gab also, wenn Niko richtig recherchiert hatte, vier Männer in dieser Stadt, die Raffael Hagen hießen, drei davon konnte er ausschließen, der vierte war nicht nur in einem ähnlichen Alter wie Niko, sondern wohnte auch noch im gleichen Wohnkomplex. Ein Hochhaus, das dem, in dem er selbst wohnte, fast auf den Ziegel glich – sah man davon ab, dass es aufgrund der anderen Ausrichtung einen anderen Lichteinfall hatte und es andere Graffitis gab. Die Chance, dass hier der richtige Raffael Hagen wohnte, stand verdammt gut. Vielleicht war er tatsächlich auf Nikos Party gewesen, denn die Möglichkeit, dass ihn jemand vor dem Haus aufgegabelt und mitgebracht hatte, war gar nicht mal so abwegig. Vor allem Fredi neigte zu solchen Aktionen. Natürlich kannte dieser dann die Namen seiner Gäste nicht.
Niko betätigte die Klingel und wenige Sekunden später rasselte eine Kette und die Tür wurde geöffnet. Ein Mädchen, vielleicht zwölf oder dreizehn – mit schwerem Hang zu Prostituiertenschick – öffnete. Bekamen die Eltern überhaupt nicht mit, wenn ihre Kinder so taten, als sähen sie ihre Karriere auf dem Straßenstrich? Das Mädchen musterte Niko Kaugummi kauend von Kopf bis Fuß, als eruiere sie, welchen Preis sie ihm nennen könnte, dann schrie sie:
„Scheißkopf, für diiihiiich!“ An Niko gewandt sagte sie: „Das kann dauern, der holt sich grad einen runter.“
„Okay“, murmelte Niko höflich und ließ sich von dem Mädchen weiter abschätzig mustern.
„Bist du ein Freund von meinem Bruder? Ich hab dich noch nie gesehen. Hast du eine Freundin? Hast du schon mit ihr gefickt?“ Niko prustete los.
„Also nein!“, folgerte das Mädchen betont abgeklärt und musterte Niko provokativ.
„Doch, ich habe schon mit meinem Freund gefickt!“, erklärte Niko gelassen, obwohl das so nicht stimmte. Bernd war nicht sein Freund … nicht mehr, oder nie gewesen. Nikos Magen zog sich zusammen.
„Stark!“, meinte das Mädchen. „Wusste gar nicht, dass sich Scheißkopf mit Schwulen abgibt.“
„Warum nicht?“, fragte Niko, da stürzte das Mädchen auch schon von der Tür weg, wie ein geölter Blitz. Der Klang schwerer Stiefel verriet Niko, womit er es gleich zu tun haben würde, noch ehe er Raffael sah.
„Wirklich ein Scheißkopf!“, brabbelte Niko vor sich hin, als er den hageren Kerl mit Glatze, Springerstiefel, Unterhemd und Hosenträger sah. Der Typ entsprach so derartig dem Klischee eines Skinheads, dass Niko Mühe hatte, nicht loszuprusten.
„Was hast du da gesagt?“, ging ihn dieser auch gleich schroff an.
„Bist du Raffael Hagen?“, fragte Niko. Bisher hatte er persönlich noch nicht mit Skins zu tun gehabt. Sie waren für ihn nie mehr gewesen, als eine bescheuerte Randgruppe, über die eine Zeit lang TV-Dokus hergefallen waren. Niko vertrat die Ansicht, der Ruf dieser Kids wäre schlimmer als die Realität und es handle sich hierbei nur um bedauernswerte Gestalten, die von allem zu wenig abbekommen hatten.
„Wer will das wissen!“, blökte Raffael und zog Rotz durch die Nase hoch.
„Ich!“, gab Niko zu und versuchte, einen Blick hinter das Klischee zu werfen. Er sollte also diesen Nazi lieben? Aber … hatten die nicht so ihre Probleme mit Schwulen? Dunkel erinnerte sich Niko daran. Plötzlich wurde ihm klar, dass er mit seiner Ausrichtung Feinde hatte. Bisher hatte Niko geglaubt, die größte Hürde wäre, sich selbst einzugestehen, dass er schwul war, und es
Weitere Kostenlose Bücher