Die Wiederkehrer
Abstecher in die Küche und kam mit einer gekühlten Coke wieder. Niko nippte nur kurz an dem Getränk. Er fühlte sich wie hundert Jahre alt. Es war gut gewesen, wie Bernd ihn gehalten hatte. Es war gut, dass er auch jetzt hier war.
„Wer war das?“, fragte Bernd endlich mit heiserer Stimme und Niko sah, dass dessen Hände zitterten.
„Ein Scheißkopf“, antwortete Niko und war überrascht über den Hass in seiner eigenen Stimme. Niko war wütend! Er war stinksauer! Er fühlte sich nicht einfach nur geschunden, wie in seiner Kindheit, sondern spürte einen unbändigen Zorn in sich hochkommen. Wäre er nicht lädiert, am liebsten wäre er sofort bei diesem Vollarsch aufgekreuzt und hätte ihn mit bloßen Fäusten zu Brei geschlagen.
„Ach …
der“,
murmelte Bernd leise, dann sahen sie einander an und prusteten los.
„Es tut mir leid“, meinte Niko schließlich und zog das Badetuch fester um seinen Körper.
„Das sollte Scheißkopf leidtun“, knurrte Bernd und versteckte die geballten Fäuste unter den Armen, als er diese verschränkte.
„Nein, ich meine nicht
das
… Es tut mir leid, was ich letztes Mal zu dir gesagt habe. Also … es tut mir nicht leid
was
ich gesagt habe, … sondern
wie
ich es gesagt habe und dass ich dir keine Chance gab, darauf zu reagieren“, erklärte Niko.
„Du hattest recht“, gestand Bernd. „Das wusste ich schon, ehe du es sagtest. Das wusste ich bereits, als ich … so geschwiegen habe und du gegangen bist. Ich begehe denselben Fehler, wie in meinem alten Leben, nur um … mich nicht einlassen zu müssen.“
„Wäre es wohl möglich, dass du mich umarmst?“, fragte Niko. „Hier? Ich will, dass wir hier liegen und du mich hältst. Geht das?“
„Aber natürlich!“, antwortete Bernd erstaunt, legte sich zu Niko auf die Couch und breitete einen Arm aus. Niko rutschte an ihn ran und kuschelte sich an den warmen, tröstenden Körper. Bernd umarmte seinen Freund behutsam und drückte die Nase an dessen Scheitel.
Plötzlich hörte Niko ein verdächtiges Schniefen. Er zuckte den Kopf hoch und blickte in Bernds Gesicht, aus dessen Augenwinkel Tränen bis zum Haaransatz an den Schläfen kullerten.
„Du weinst?“, fragte Niko unnötigerweise, er konnte es doch sehen. Bernd nickte ebenso unnötig. „Warum?“, wollte Niko wissen.
„Es ist schön, mit dir hier dazuliegen“, meinte Bernd leise.
„
Deswegen
weinst du?“ Niko war verblüfft. Bernd nickte.
„Ja.
Deswegen
weine ich.“ Nichts an ihm verriet, dass er sich dessen schämte oder es ihm unangenehm war. Niko war erstaunt – verwirrt – verstört.
„Du weinst weil es …
gut
… ist?“, fragte er noch einmal nach.
„Hast du noch nie Freudentränen vergossen?“, fragte Bernd.
„Freudentränen sind doch eine Erfindung der Waschmittelwerbung“, murmelte Niko.
„Was?“ Sie sahen einander an und prusteten los.
„Ich habe nachgedacht“, meinte Bernd nach einer Weile. „Du hast mir von deiner Kindheit erzählt … es wäre nur fair, wenn ich dir von meiner erzähle. Ich glaube, das bekäme ich hin – fürs Erste.“
„Wirklich?“, fragte Niko erfreut.
„Ja“, sagte Bernd, „Aber bitte, sieh mich dabei nicht an. Ich kann darüber nicht reden, wenn du mich ansiehst.“
„Okay“, sagte Niko rasch, legte sich auf den Rücken, Bernds Arm im Nacken und sagte: „Ich bin ganz
'Freud'!“
Bernd kniff Nikos Nasenspitze und warnte:
„Achtung! Mach dich nicht über mich lustig.“
„Versprochen!“, murmelte Niko.
„Gut. Wo soll ich anfangen? Meine Eltern waren so neureiche Intellektuelle. Ihnen ging Bildung und Status über alles. Natürlich gehörte dazu auch das Prestigeobjekt Kind. Sie brauchten eine Puppe zum Vorzeigen, eine Puppe, die sie unterhielt, eine Puppe, die sie liebte. Solange sie eins der drei Dinge bekamen, war alles in Ordnung – jenseits davon aber konnten sie nichts mit mir anfangen. Du hättest ihre Blicke sehen müssen, wenn sie gezwungen waren, sich mit mir zu beschäftigen, sich auf mich einzulassen. Es war, als wäre ich ein wandelnder Atompilz, es hätte noch gefehlt, dass sie sich vor dem Kontakt mit mir Jodtabletten einwarfen. Ich war wie ein Spielzeug, dessen Bedienungsanleitung sie verloren hatten und dessen Funktionen sie völlig überforderte, also stellten sie Leute ein, die sich um mich kümmern sollten. Sie hatten ja ohnedies keine Zeit durch ihre tollen Berufe. Allerdings blieb keines der Kindermädchen lange, da meine Eltern befürchteten,
Weitere Kostenlose Bücher