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Die Wiege des Windes

Titel: Die Wiege des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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Mühlbauer fuhr den kleinen Rollwagen mit seinen Instrumenten neben die Bahre und aktivierte das Mikrophon, das über ihm schwebte. Nach einem kleinen Funktionstest griff er nach dem Tuch und zog es in einem Ruck von dem Toten.
    Die Leiche war aufgedunsen, die Haut bleich, fast schon alabasterfarben. Auf dem Oberkörper waren Striemen und Schnitte zu sehen, die unter dem Schein der Lampe violett erschienen. Vom Kopf war nur eine fleischige Masse übrig.
    Trevisan wandte den Blick ab.
    »Also, die Identifizierung wird nicht leicht«, erklärte Doktor Mühlbauer. »Mit dem Zahnschema kommen wir da nicht weiter. Auch mit den Fingerabdrücken sieht es nicht gut aus. Das wird wohl auf einen DNA-Test hinauslaufen. Und so viel ist auch sicher: Die Wunden am Kopf wurden weit nach seinem Tod zugefügt. Die Ränder sind ohne Einblutungen.«
    Trevisan sah sich um. In der Ecke standen drei Plastikstühle. Er legte Johannes Hagemann die Hand auf die Schulter und deutete auf die Stühle.
    »Nein, ich bleib hier stehen«, sagte Hagemann. »Aber setz dich nur. Du versäumst nichts. Auch da drüben wird es bald furchtbar stinken.«
    Doktor Mühlbauer fuhr mit seiner Arbeit fort. »Obduktion einer männlichen Leiche zwischen 20 und 50 Jahre. Fundort: Großer Hafen, Nordufer. Die Hände sind auf dem Rücken mit einem Hanfstrick zusammengebunden. Oberflächliche Schnittwunden befinden sich auf der Brust, dem Oberkörper und dem Oberbauch …«
    Mühlbauer hob die Leiche an und drehte sie auf die Seite. Trevisan erkannte einen Teil des Gebisses und eine leere Augenhöhle. Er wandte den Blick ab.
    »… und auf dem Rücken«, beendete Mühlbauer den Satz. Dann stoppte er die Bandaufzeichnung. »Er ist kurz vor seinem Tod mit einem Messer malträtiert worden. Wirkt wie die Spuren einer Folterung.«
    *
    Die nächsten beiden Stunden waren für Trevisan eine Tortur. Zuerst stank es nach verfaultem Fleisch, dann roch es nach Urin, und als Mühlbauer mit einem spitzen Gegenstand vorsichtig in den Bauchraum stach, entwichen die Gase aus dem Leichnam und Trevisan würgte. Einen Augenblick lang hielt er es für angebracht, die Toilette aufzusuchen, doch er bekam sich wieder in den Griff.
    Als Doktor Mühlbauer nach zwei Stunden die Säge zur Seite legte und die Handschuhe abstreifte, wussten die Ermittler, dass der Tote an die dreißig Jahre alt und seit etwas mehr als drei Wochen tot und zuvor mit teils tiefen Schnitten, ausgeführt mit einem extrem scharfen Messer oder Dolch, gefoltert worden war. Gestorben war er an in seine Lungen eindringendem Wasser, er war ertrunken. Die schweren Kopfverletzungen stammten von der Schraube eines Schiffsmotors.
    Das passte in das Bild, das sie sich bereits am Tatort gemacht hatten. Der Körper hatte sich in den Wasserpflanzen auf dem Grund des Hafens verfangen und war, nachdem sich bei gerade mal vier Grad Wassertemperatur nur langsam die Fäulnisgase im Bauchraum gebildet hatten, Richtung Oberfläche getrieben. Erst dabei hatte vermutlich der Kopf des Toten Kontakt mit der Schiffschraube eines Außenbordmotors gehabt. Die restlichen um die Beine gewickelten Schlingpflanzen hatten die Leiche immer noch unter Wasser festgehalten. Erst als sich der Angelhaken des Fischers in ihrer Kleidung verfangen hatte und kräftig an der Angelschnur gezogen wurde, konnte der Tote im brackigen und trüben Wasser entdeckt werden.
    Die Schiffsschraube hatte eine Identifizierung anhand eines Zahnschemas unmöglich gemacht. Darin lag das Problem. Ohne die Personalien des Toten waren weitere Ermittlungen äußerst schwierig.
    *
    Die Auswertung der Fingerabdrücke traf um 14 Uhr beim Landeskriminalamt in Hannover ein. Kriminaloberrat Helmut Kirner war nicht überrascht. Die Fingerabdrücke auf dem Kuvert der Briefbombe waren in den Dateien des BKA gespeichert. Sie gehörten Friederike van Deeren.
    Das Dossier, das mögliche Motiv, der Umschlag und jetzt auch noch die Fingerprints, nun konnte er nicht mehr anders. Jetzt ließ es sich trotz des Feiertags nicht vermeiden, den Bereitschaftsstaatsanwalt ins Amt zu rufen, um einen Haftbefehl und eine Öffentlichkeitsfahndung zu erwirken. Der Tatvorwurf war eindeutig: Mordversuch in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz. Kirners Erfahrung nach bedeutete das mindestens zehn Jahre Haft für die junge Frau.
    Er legte das Fax auf seinen Schreibtisch und griff zum Telefon.

8
    »Ihr seid wohl alle verrückt geworden!«, brüllte Rike den alten Mann an, der in seinem

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