Die Wiege des Windes
Dienststelle.
Dietmar Petermann saß hinter seinem Schreibtisch und telefonierte, als sie sein Büro betraten. Er hob den Arm zum Zeichen, dass er Ruhe brauchte. Trevisan und Hagemann warteten, bis er aufgelegt hatte.
»Die Kollegen in Würzburg waren schnell«, erzählte er. »Nachdem ich ihnen erklärte, dass wir den Büchereiausweis in einem Rucksack neben einem unbekannten Toten aus dem Hafen gefischt haben, haben die tatsächlich jemanden aufgetrieben, der an den Computer der Bibliothek kommt. Aber in Würzburg wohnt kein Peter Luksch. Na ja, zumindest haben wir seinen Namen.«
Trevisan verdrehte die Augen. »Den hatten wir schon, nachdem wir den Rucksack fanden. Gibt es sonst noch etwas?«
»Ich habe mich nicht abspeisen lassen und es hat sich gelohnt. Peter Luksch ist sechsundzwanzig Jahre alt und Student. Er studiert offenbar in Würzburg und wohnt außerhalb. Der Ort heißt Gerchsheim und liegt knapp zehn Kilometer von Würzburg entfernt. Das ist aber schon Baden-Württemberg.«
Trevisan riss der Geduldsfaden. »Wohnt er dort noch, ist er am Leben?« Seine Stimme war lauter geworden.
Dietmar griff nach seinem Notizblock. »Also, die Kollegen aus Würzburg haben die Kollegen aus Tauberbischofsheim benachrichtigt und von dort aus fuhr eine Streife an die Wohnadresse. Das ist ein Mehrfamilienhaus, aber Luksch stand nicht auf den Klingeln. Sie haben dann jemanden aus dem Haus gefragt. Von dort bekamen sie die Auskunft, dass mal bis zum Sommer ein junger Mann unter dem Dach wohnte, doch der ist ausgezogen.«
»Und das war Luksch?«, fragte Johannes Hagemann.
»Vermutlich.«
»Mensch Dietmar, bring mich nicht auf die Palme …«, warnte Trevisan.
»Mehr lässt sich heute nicht feststellen, die Ämter haben zu und die Hauseigentümer sind auf den Kanaren. Ich kann nichts dafür, dass die Baden-Württemberger keinen Zugriff auf die Datenbanken der Einwohnermeldeämter haben. Vom Alter her könnte es passen.«
Trevisan ließ sich auf den Stuhl fallen. »Nur vom Alter oder haben wir eine Beschreibung?«
»Oh, das habe ich vergessen zu fragen«, antwortete Dietmar Petermann kleinlaut.
»Dann wird’s Zeit!« Johannes Hagemann deutete auf das Telefon.
*
Gut zweihundert Kilometer entfernt saß zum gleichen Zeitpunkt Kriminaloberrat Kirner hinter seinem Schreibtisch und spielte geistesabwesend mit einem Bleistift. Seine Mitarbeiter wussten, dass Kirner die Kurzfassung, die reinen Fakten liebte. Er brauchte Zuträger, die funktionierten, sonst fanden sie sich schneller in einer anderen Abteilung, als ihnen lieb war. Die Bewertung ihrer Erkenntnisse war alleine seine Sache. Teamarbeit war nicht sein Metier. Er war der Kopf, der Denker, und genau deswegen saß er nachdenklich auf seinem Stuhl. Die Fahndung nach Friederike van Deeren war angelaufen. Da es in ihrer Akte einen vagen Hinweis auf einen Bekannten in Deventer gab, waren auch die holländischen Behörden informiert. Sie war die Hauptverdächtige, doch den Brief konnte sie nicht selbst überbracht haben. Das Flugzeug mit der Flugnummer AQ 4227 war erst um 15 Uhr in Frankfurt gelandet. Laut Passagierliste hatte sie sich an Bord dieser Maschine befunden.
Inzwischen waren weitere Informationen auf seinem Tisch gelandet. Demnach hatte Friederike van Deeren ab 17. November an einem Training in einem Greenpeace-Aktiv-Camp bei Bremen teilgenommen. Danach war sie drei Wochen in Australien gewesen, um auf der Arctic Sunrise, einem Greenpeace-Schiff, gegen japanische Walfänger zu protestieren. Zumindest hatte sie am 3. Dezember in Frankfurt nach Perth eingecheckt.
Dennoch konnte sie an dem Anschlag beteiligt gewesen sein. Zwei Namen waren in ihrem Strafregister unter der Rubrik Tatgenossen ständig aufgetaucht. Möglicherweise war sie Mitglied einer kleinen Aktivistenzelle, zu der auch Björn Larsen aus Wilhelmshaven und ein gewisser Uwe Töngen gehörten. Larsen schien, so hatten seine Mitarbeiter herausgefunden, untergetaucht zu sein – ein Indiz für seine Beteiligung oder Täterschaft? Uwe Töngen lebte auf Langeoog und hütete Schafe. Ihn würde er sich vornehmen, gleich morgen früh.
Die Ungereimtheiten in dem zunächst so scheinbar klaren Fall raubten ihm die Ruhe. Warum war der Brief an die Behörde und nicht zu Esser nach Hause geschickt worden, und warum ausgerechnet einen Tag vor Weihnachten, wo doch viele in Urlaub waren? Das Risiko eines Fehlschlages war viel zu groß gewesen. Oder hatte der Überbringer gewusst, dass Esser an diesem Tag aus
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