Die wilde Gärtnerin - Roman
stoßen.« Leos Augenbrauen standen in betrübtem, schrägem, erbarmungswürdigem Winkel.
»Von mir aus bau halt so ein Ding. Wenn allerdings die Scheiße zum Himmel stinkt, reißt du das Zeug ab. Sofort!«, sagte sie mit gespielter Strenge und sehnte sich nach ihrem dahinplätscherndem Dasein als Eigentümerin, das nach all den überstandenen Turbulenzen endlich ruhiger werden würde.
+++ Milliarden-Verlust aus Österreichischer Bankenhilfe +++ Wegen intransparenter toxischer Papiere stuft Moody’s EU-Eliten-Staaten auf BB-minus ab +++ Staatsanleihen auf Finanzmärkten im Sinkflug +++ Athen soll fast 14 Milliarden bis 2014 einsparen +++ Österreichische Politiker für radikale Budgetkürzungen bei Gesundheit, Sozialausgaben und Bildung +++
1.9.
Wie ich aus den Online-Schlagzeilen entnehme, hat Berta offenbar ohne meine Hilfe ihren Sekretärinnenjob bekommen und erfolgreich für ihre Zwecke nützen können. Jedenfalls fallen die Triple-A-Ratings wie Zwetschken im Herbst. Auch »Spitzel«-Benno hat sie nicht gebraucht. Dessen Schein-Identität sie genauso auf den Leim gegangen ist wie ich und Toni. Anscheinend sieht man nur das, was man sehen möchte → Sie den bösen Analysten. Ich den interessierten Mitmenschen. Toni den liebenswürdigen Jüngling.
Der Staatsanwalt sieht in mir übrigens noch immer die bedrohliche Wirtschaftsanarchistin. Um nochmalige Verlängerung meiner Untersuchungshaft in der nächsten Haftprüfungsverhandlung zu erreichen, hat er Menschen in weißen Schutzanzügen in meinen Garten geschickt, die meinen Goldtopf entwendet haben. Zur großen Überraschung aller Beteiligten weisen die untersuchten Materialproben keinerlei gefährliche Bestandteile auf! Zusätzlich wurde ein linguistisches Gutachten von meinem Journal und der Verlautbarung auf den gehackten Webseiten erstellt und siehe da, die VerfasserInnen stimmen überein! Mein bescheidener Hinweis, ich hätte den Wortlaut der Computerseiten bloß in mein Journal übertragen, folglich
abgeschrieben
, nimmt der Staatsanwalt nur mit einem schiefen Lächeln entgegen, nicht aber zur Kenntnis. Verzichte in Anbetracht dieses Arbeitseinsatzes auf weitere Kommentare. Auch die neuesten Informationen meiner Anwältin lassen mich verstummen: Mein Privatkonto und das Verwaltungskonto meines Hauses wurden geöffnet und gesperrt → Man will den Geldflüssen der »kriminellen Vereinigung« nachspüren.
Frage mich nur, weshalb man mich weiterhin verdächtigt. Nach Bennos Berichten, der Telefon- und Computerüberwachung, den Zeugenbefragungen, Kontoöffnungen, der Analyse meiner Scheiße und und und, muss meine Unschuld doch offensichtlich sein. Der Staatsanwalt wird daraufhin ernster als sonst (dachte, da wäre keine Steigerung mehr möglich). »Frau Cerny, glauben Sie mir, wir haben darin Erfahrung, das Fehlen von Indizien, wie im vorliegenden Fall, zeigt eindeutig den hohen Grad an Professionalität. Aber wir kriegen Sie noch. Irgendwo haben Sie einen Fehler begangen.«
5.9.
Toni bringt mir Flohsamenschalen. (Die Inhaftierung lässt meine Verdauung stocken. Auch das tägliche, dreißigminütige Gehüpfe in meiner Zelle vor dem vergitterten Fenster unterstützt meine Darmtätigkeit nur mäßig. Muss oft ein, zwei Tage nicht aufs Klo. Grauenvolles Gefühl. Zusätzlich das Problem der Schwemmkanalisation → aber irgendwann muss diese Gefangenschaft ja wohl ein Ende finden und ich wieder in Freiheit scheißen können!) Die Wächterin im Besuchsraum durchsucht die Flohsamen auf illegale Bestandteile. Absurd.
Erkläre Toni, was im Garten zu tun ist: Ernte von Zucchini, Paprika, Kukuruz und Bohnen. Kräuter müssen geschnitten und getrocknet, zuvor Samenstände geöffnet und Samen gesammelt werden. Die Blumenwiese hätte schon längst gemäht werden sollen, damit genug Heu für Herbstmulchen da ist. Erinnere Toni daran, kranke und trockene Blätter zu entfernen. Ans Einkochen der Beeren und Früchte erinnere ich sie nicht, das wird sie hoffentlich von selbst machen. Sie geht nicht weiter auf meine Anweisungen ein, erzählt dafür von Solidaritätsbekundungen meiner Mieterinnen und ihrer Freundinnen, die sich alle »voller Hingabe« (Zitat Toni) um meine Pflanzen kümmern. → In mir steigt eindeutig Verzweiflung und Angst auf. Werde ich meinen Garten wiedererkennen? (Wenn ich ihn jemals wiedersehe.)
10.9.
Immer die gleichen Fragen – keine Neuigkeiten –, ich verweigere die Aussage. Weshalb sollte ich mich verteidigen, da sie mich weiterhin
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