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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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verdächtigen? Sie sehen, was sie sehen wollen → und in mir eben eine Terroristin.
    Schreibe Toni, dass Kürbisse zu ernten sind. Auch Weißkraut, das sie im Holzfass in der Gerätekammer zu Sauerkraut einlegen soll. Erdäpfel sollen in feuchten Sand eingeschlagen werden. Reife Äpfel und Zwetschken sollen gepflückt und entweder gelagert oder verkocht werden. Samen der Ringel- und Sonnenblumen müssen aufbewahrt werden. Kultiviere tagsüber meine stoische Gelassenheit (um von all dem Wahnsinn nicht deppert zu werden), schlafe in der Nacht umso unruhiger. Versuche Ausgleich durch Laufen im Hof zu schaffen. Halte Gefangenschaft zunehmend weniger aus. Auch meine Darmbakterien verkümmern bei Gefängniskost und Bewegungsarmut. Mein harter, dunkler, schafskotähnlicher Stuhl fällt erst nach zähem Ringen mit lauten Klicks und Klacks in den Flachspüler. Eine Katastrophe. Doch meine Wut ist dahin, selbst meine Zweifel und Fragen sind verschwunden. Warte einfach nur. Einziger Lichtblick: Tonis Briefe. Sie schreibt, Mieter und Mieterinnen hätten ein neues Konto eröffnet. Die Hausgemeinschaft übernimmt nun Gemeindeabgaben etc. in Eigenverantwortung. »Lass einfach los«, rät Toni.
    15.9.
    Habe mich in totaler Resignation eingerichtet. Schweige in den Einvernahmen. Tue ansonsten, was von mir verlangt wird. → Meine Wächterin dankt es mir mit sanfteren Augen und wehmütigem Lächeln. Sie untersucht Tonis Flohsamen und den Gugelhupf von meiner Oma nur noch oberflächlich. Wenigstens sie dürfte mittlerweile von meiner Harmlosigkeit überzeugt sein. Oder sind das standardisierte, mildere Umgangsformen ab einem Aufenthalt von zwei Monaten?
    Lese nicht mehr im Internet, der Informationsgehalt ist ohnehin mangelhaft. Lese stattdessen Bücher aus der Gefängnisbibliothek, schreibe, hüpfe vor dem Fenster auf und ab → mein Darm nimmt weder davon noch von den Flohsamen Notiz, er verschließt sich einfach. Merke in der Stunde im Freien, dass die Sonnenstrahlen schräger werden und die Schatten sich noch früher in den betonierten Hof legen. Vermisse meinen Garten unendlich. Er steht sicher in der schönsten Spätsommerpracht mit reifen Früchten und vollen Gemüsebeeten. Jetzt ist die Hauptarbeit zu tun, die Belohnung für Pflege und Betreuung → hoffentlich kümmert sich Toni darum. Schreibe ihr, worauf sie nicht vergessen darf und was zu berücksichtigen ist. Ihre Antwort: »Entspann dich! Alles wird gut. Sorge dich nicht. Vertraue!«
    Habe das Gefühl, außer meiner Scheiße entgleitet mir alles: Durchblicke weder den Sinn meiner Inhaftierung noch ist ein Ende in Sicht. Sitze hier und das Leben rauscht an mir vorbei, irgendwo draußen, weit weg. Habe mir diesen Zustand oft ersehnt. Habe ihn, wie es scheint, erreicht → ist aber auch nicht die Erfüllung.
    18.9.
    Meine schlaflosen Nächte, von wirren Träumen unterbrochen, werden zur Gewohnheit:
    Meine Oma ruft an, erzählt mir von Kakao und Kuchen, ich höre im Hintergrund Opa ins Telefon keppeln: »Das Haus ist schuld. Sie hätt den alten Krempel abreißen sollen. Mit Baggern dem Erdboden gleichmachen. Weg mit dem alten Zeug.«
    Erwache mit Herzrasen, nass-kaltem Schweiß im Nacken und auf der Brust, einer Hitze im Körper, dass ich mein Gesicht an den Spalt des gekippten Zellenfensters halte und nach Abkühlung giere. Nach einer halben Stunde tritt Beruhigung ein. Lege mich hin.
    Sehe meine Mutter im Traum. Sie fährt auf ihrem bunten Fahrrad Runden im Gefängnishof. Leda trägt eines ihrer wehenden Gewänder in grellen Farben und lacht vergnügt, als gäbe es keinen besseren Ort, um glücklich zu sein. »Der Wind«, singt sie, »der Wind, der Wind, das himmlische Kind.«
    Träume auch von meiner Uroma, Magda Cerny, die ich zuletzt mit zirka fünf gesehen habe. Sie schaut aus wie zu Weihnachten, als sie bei Leda und mir auf Besuch war. Ein Jahr vor ihrem Tod. Sie trägt ein schwarzes Kleid, darauf die glitzernde Brosche, die sie mir geschenkt hat, und lutscht Kaffeebohnen. Ihr Gesicht ist so faltig wie ein zweimal verwendetes Origamipapier. Einzig ihre Stupsnase ist glatt. Dieses runzelige Antlitz schaut mich an und sagt: »Das hab ich vom Kaiser.«
    Erwache wieder, mein Nachthemd erneut durchgeschwitzt, das Herzrasen ein bisschen schwächer, bin dafür munterer. So ziehen sich die Nächte. So ziehen sich die Tage. Halte es kaum aus – richte mich aber auf längeren Aufenthalt ein.
    +++ Mehr als hunderttausend Briten demonstrieren gegen Sozialkürzungen +++

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